Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Befangenheit eines Richters, der Patient des als Partei in einem Arzthaftungsprozess beteiligten Arztes ist
Leitsatz (amtlich)
War oder ist eine Partei als Arzt des für seinen Prozess zuständigen Richters tätig, so stellt dies in aller Regel einen Umstand dar, der die Besorgnis der Befangenheit gem. § 42 ZPO rechtfertigt.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bremen (Beschluss vom 04.11.2011; Aktenzeichen 3 O 766/08) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 10.11.2011 gegen den Beschluss des LG vom 4.11.2011 wird dieser dahingehend abgeändert, dass das Gesuch des Klägers, den Vorsitzenden Richter am LG S. für befangen zu erklären, für begründet erklärt wird.
Der Gegenstandswert wird auf 1.427.944 EUR festgesetzt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des LG vom 4.11.2011 ist gem. § 46 Abs. 2 ZPO zulässig, insbesondere rechtzeitig erhoben worden. Sie ist auch begründet.
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LG darauf abgestellt, dass gem. § 42 Abs. 2 ZPO dem Ablehnungsgesuch einer Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit eines Richters nur dann zu entsprechen ist, wenn objektive Gründe vorliegen, die bei verständiger Betrachtung vom Standpunkt einer ruhig und vernünftig denkenden Partei aus die Besorgnis begründen können, der erkennende Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Maßgeblich ist nicht, ob er tatsächlich befangen ist oder ob er sich für befangen hält (vgl. im Einzelnen Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rz. 9 m.w.N.)
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das LG in seinem angefochtenen Beschluss indessen zu Unrecht verneint.
In seiner dienstlichen Stellungnahme vom 18.8.2011 hat der Vorsitzende Richter der für den vorliegenden Arzthaftungsfall zuständigen Kammer des LG erklärt, dass er bei dem Beklagten zu 1., einem der in Anspruch genommenen Ärzte, in den Jahren 1991, 2006 und 2008 in orthopädischer Behandlung gewesen sei, dabei 2006 und 2008 jeweils zwei Mal. Die verordneten krankengymnastischen Behandlungen habe er jedenfalls z. T bei der Beklagten zu 2. erhalten, einer krankengymnastischen Praxis in der Rechtsform einer GmbH, deren Geschäftsführer wiederum der Beklagte zu 1. ist.
Diese persönlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen dem abgelehnten Richter und insbesondere dem Beklagten zu 1. hat das LG in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht als nicht ausreichend angesehen, um damit ein Näheverhältnis zu begründen, das die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt (vgl. dazu im Einzelnen Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rz. 12 m.w.N.). Soweit es sich dabei auf den Beschluss des OLG Celle vom 21. 07.2011 (GesR 2011, 560) bezieht, sind die dort zu Recht anerkannten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch allerdings nicht als abschließend für Fälle der vorliegenden Art zu verstehen.
Richtig ist zwar, dass das dortige besondere Näheverhältnis zwischen einer Richterin und der Hebamme, die sie bei der Geburt ihres Kindes betreut hat, über das im vorliegenden Fall zwischen Richter und Arzt, dem Beklagten zu 1., bestehende hinausgehen wird. Zu Unrecht beschränkt das LG den Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 ZPO allerdings auf Fälle einer solchen besonders intensiven Vertrauensbeziehung zwischen dem behandelnden Arzt und seinem Patienten und verneint sie im vorliegenden Fall unter Hinweis auf den Charakter der angewandten Heilmethode als einer "orthopädischen Standardtherapie". Dabei verkennt es, dass in aller Regel jede ärztliche Behandlung auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruht (vgl. dazu auch BayrLSG, Beschluss vom 7.7.1976, zitiert nach juris), von einmaligen, länger zurückliegenden und weniger bedeutsamen kleineren Maßnahmen womöglich abgesehen, die in größeren medizinischen Einrichtungen eher zufällig von dem einen oder anderen Arzt verabreicht werden mögen. Um einen solchen Fall geht es vorliegend jedoch nicht. Der zuständige Richter hat sich über Jahre wiederholt in die Behandlung des Beklagten zu 1. und "seines" krankengymnastischen Instituts begeben und schon damit -aus der allein maßgeblichen Sicht des Beschwerdeführers- zu erkennen gegeben, dass er besonderes Vertrauen in dessen ärztliche Heilkunst hat. Dass die letzte Behandlung einige Jahre zurückliegt, ändert daran nichts, sondern beruht ersichtlich eher auf der Tatsache, dass aktuell kein Behandlungsbedarf besteht.
Ebenso wenig kann es eben wegen des allein ausschlaggebenden Standpunktes des Beschwerdeführers darauf ankommen, wegen welcher konkreten Beschwerden sich der Richter in die Behandlung begeben hat, zumal der Beschwerdeführer insoweit keine Kenntnis haben kann und die übrigen Beteiligten hierüber sicher keine Auskunft schulden. Ob es sich lediglich um eine "orthopädische Standardmaßnahme" handelte, ist ebenso ungeklärt wie unerheblich.
Ob dem danach anzunehmenden besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Beklagten zu 1. und dem abgelehnten Richter deshalb zusätzliches Gewicht bei der Bejahung der Voraussetzungen...