Leitsatz (amtlich)
1. Betreibt im Falle des § 114 Abs. 2 GWB die Vergabekammer das Verfahren nicht, so kommt eine Untätigkeitsbeschwerde mangels gesetzlicher Regelung allenfalls als ultima ratio in Betracht.
2. Die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens müssen zunächst im Wege einer Dienstaufsichtsbeschwerde versuchen, den Fortgang des Verfahrens zu erreichen.
Normenkette
GWB § 114 Abs. 2 S. 2, § 116; ZPO § 567
Tenor
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Beschwerdewert wird auf 93.563,11 EUR (5 % von 1.871.262,71 EUR) festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin hatte zunächst bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag betreffend ein Vergabeverfahren der Antragsgegnerin gestellt. Nachdem dieser Antrag vor Erteilung des Zuschlages nicht mehr hatte zugestellt werden können, stellte sie einen Antrag gem. § 114 Abs. 2 GWB. Im Verlaufe dieses Nachprüfungsverfahrens kam es zu einer mündlichen Verhandlung am 28.11.2005, in der die Vergabekammer einen Vergleichsvorschlag unterbreitete. Anfang Dezember 2005 erhielt die Vergabekammer die Mitteilung, dass die Parteien diesen Vergleich nicht abschließen wollten.
Unter dem 13.12.2005 und dem 21.2.2006 erkundigte sich die Antragstellerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 8.3.2006 wurde ihr mitgeteilt, mit einer Entscheidung der Vergabekammer sei in der folgenden Woche zu rechnen. Auf die weitere Anfrage vom 18.5.2006 wurde ihr vom Vorsitzenden der Vergabekammer mitgeteilt, die Entscheidung werde bis spätestens Mitte Juni den Beteiligten vorliegen. Mit Schriftsätzen vom 21.7. und 4.9.2006 erkundigte sich die Antragstellerin erneut nach dem Sachstand und kündigte die Einlegung einer Untätigkeitsbeschwerde an. Mit E-Mail vom 12.9.2006 kündigte der Vorsitzende der Vergabekammer eine Entscheidung für die 37. Kalenderwoche (11. bis 15.9.) an.
Am 16.11.2006 hat die Antragstellerin Untätigkeitsbeschwerde erhoben.
Am 19.12.2006 hat die Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag entschieden. Darauf haben beide Parteien die Untätigkeitsbeschwerde für erledigt erklärt.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Untätigkeitsbeschwerde sei zulässig gewesen. Jedermann habe als Folge des Selbsthilfeverbots einen Anspruch auf Rechtsschutz, zu dessen Durchsetzung auch die Untätigkeitsbeschwerde erforderlich sei, die allerdings gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Auch das BVerfG habe mit seiner Entscheidung vom 11.12.2000 die grundsätzliche Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde anerkannt.
Die Antragsgegnerin hält die Untätigkeitsbeschwerde für unzulässig.
II. Die Kosten des Rechtsstreits waren in entsprechender Anwendung des § 91a ZPO der Antragstellerin aufzuerlegen, weil die Untätigkeitsbeschwerde unzulässig war.
Auf die Kostenentscheidung nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Allerdings wird weder in § 120 Abs. 2 GWB noch in den dort aufgeführten Vorschriften auf die Kostenregelungen der ZPO verwiesen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind jedoch für die Kostengrundentscheidung im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat die §§ 91 ff. ZPO entsprechend heranzuziehen (BGH VergabeR 2004, S. 473, 478; BGH v. 19.12.2000 - X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = BGHReport 2001, 560 m. Anm. Reidt = NJW 2001, 1492, 1495, s. a. OLG Frankfurt NZBau 2001, 101, 102; Kulartz/Kus/Portz-Wiese § 120 GWB Rz. 45). Da die Parteien übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, konnte daher gem. § 91a ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht die Untätigkeitsbeschwerde nicht vor. Auch in der Zivilprozessordnung ist sie nicht erwähnt. Sowohl gem. § 116 Abs. 1 GWB als auch gem. § 567 ZPO ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung, nicht aber gegen eine unterbliebene Entscheidung vorgesehen. Selbst in dem in § 116 Abs. 2 GWB geregelten Fall wird eine Entscheidung der Vergabekammer lediglich fingiert.
Demgegenüber sehen § 75 VwGO und § 27 EGGVG einen Rechtsbehelf gegen die Untätigkeit von Behörden ausdrücklich vor.
Allerdings wird für die Zivilprozessordnung die Untätigkeitsbeschwerde in Rechtsprechung und Literatur in entsprechender Anwendung von § 567 ZPO oder § 252 ZPO zur Sicherung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Justizgewährleistungsanspruchs teilweise für zulässig gehalten (BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 2000, 797; NJW 2001, 961, auch NJW 2003, 2672; OLG Hamburg NJW-RR 1989, 1022; OLG Karlsruhe NJW 1984, 985; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1290; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1653; Zöller-Gummer, 26. Aufl., § 567 Rz. 21; Schneider MDR 2005, 430; offen gelassen in KG OLGReport 1997, 251).
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Untätigkeitsbeschwerde im Vergabenachprüfungsverfahren statthaft ist. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass dies - mangels gesetzlicher Regelung - jedenfalls nur als ultima ratio in Betracht kommen kann...