Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Auslegung einer Prozesserklärung als Verzögerungsrüge i.S.d. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Erhebung einer Verzögerungsrüge i.S.d. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG handelt es sich um eine einseitige Prozesshandlung und es unterliegt diese Erklärung einer Auslegung entsprechend den für empfangsbedürftige Willenserklärungen geltenden Grundsätzen nach § 133 BGB.
2. Eine Erklärung, mit der ein Angeklagter in laufender Hauptverhandlung ausdrücklich und lediglich die Einstellung des gegen ihn geführten Strafverfahrens wegen der Geltendmachung eines unbehebbaren Verfahrensmangels in Form einer überlangen Verfahrensdauer beantragt, ist nicht als Erhebung einer Verzögerungsrüge i.S.d. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG auszulegen.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 3 KLs 150 Js 13111/08) |
Tenor
I. Der Antrag des Klägers vom 19.06.2018 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, die er auf die Geltendmachung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung eines gegen ihn vor dem Landgericht Bremen geführten Strafverfahrens stützt. Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Bremen vom 17.03.2009 wurde der erste Hauptverhandlungstermin am 16.09.2014 durchgeführt. In diesem Termin stellte der Verteidiger des Angeklagten einen Antrag gemäß seinem Schriftsatz vom 15.09.2014, mit dem er beantragte, das Strafverfahren wegen eines unbehebbaren Verfahrensmangels in Form der überlangen Verfahrensdauer einzustellen und die für die Verfahrensdauer relevanten Vorgänge anhand der Gerichtsakte festzustellen und im Protokoll festzuhalten. Im zweiten Hauptverhandlungstermin vom 24.09.2014 wurde der Einstellungsantrag durch die Kammer zurückgewiesen und dem Antrag auf Feststellung der für die Verfahrensdauer relevanten Vorgänge und ihrer Protokollierung stattgegeben. Das Verfahren wurde sodann ausgesetzt und es wurde ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Belastungszeugin eingeholt. Nach Eingang des Gutachtens wurde ab dem 16.05.2017 die Hauptverhandlung erneut durchgeführt und der Kläger wurde mit Urteil vom 05.09.2017, das am 20.12.2017 rechtskräftig wurde, teilweise freigesprochen und im Übrigen wurde das Verfahren durch das Landgericht wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen absoluten Verfolgungsverjährung eingestellt. Mit gerichtlichem Vermerk vom 12.07.2017 hatte das Landgericht das Vorliegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen festgestellt.
II. Der Antrag des Klägers vom 19.06.2018 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung des Klägers nicht zu erkennen sind (siehe § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).
Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG hat keine Aussicht auf Erfolg, da es an der Erhebung einer nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG erforderlichen Verzögerungsrüge im Rahmen des Ausgangsverfahrens mangelt, d.h. in dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren vor dem Landgericht Bremen.
1. Nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG setzt der Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer voraus, dass der betreffende Verfahrensbeteiligte bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Das Erfordernis der Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren dient dabei nach der Intention des Gesetzgebers einer doppelten Zwecksetzung: Zum einen soll die Verzögerungsrüge dem bearbeitenden Richter die Möglichkeit einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und insofern als Vorwarnung dienen. Zum anderen bewirkt die Obliegenheit der Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren einen Ausschluss der Möglichkeit zum "Dulde und Liquidiere", dient damit also sowohl präventiv der Verfahrensbeschleunigung als auch der Missbrauchsabwehr (siehe die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 17.11.2010, BT-Drucks. 17/3802, S. 20).
a. Bei der Erhebung einer Verzögerungsrüge handelt es sich um eine Prozesserklärung. Die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit ergeben sich aus dem Prozessrecht und die Verzögerungsrüge unterliegt als einseitige Prozesshandlung einer Auslegung entsprechend den für empfangsbedürftige Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Grundsätzen, insbesondere des § 133 BGB (siehe allgemein BGH, Urteil vom 17.10.1973 - IV ZR 68/73, juris Ls., VersR 1974, 194; Beschluss vom 14.02.2001 - XII ZB 192/99, juris Rn. 11, FamRZ 2001, 1703; Urteil vom 17.11.2009 - XI ZR 36/09, juris Rn. 34, BGHZ 183, 169; Beschluss vom 05.12.2012 - IV ZR 188/12, juris Rn. 8, BVerwG, Beschluss vom 27.03.2019 - 2 B 58/18, juris Rn. 8; spezifisch für die Auslegung der Erklärung einer V...