Leitsatz (amtlich)
Eine Mutter, die einem beim Vater lebenden minderjährigen Kind unterhaltspflichtig ist, ist grundsätzlich nicht deshalb von ihrer Obliegenheit zur Ausnutzung ihrer Arbeitskraft durch Ausübung einer Vollzeiterwerbstätigkeit befreit, weil sie ihrerseits ein zwölfjähriges (hier: Geschwister-)Kind betreut.
Verfahrensgang
LG Bremen (Beschluss vom 26.05.2004; Aktenzeichen 153 F 99/04) |
Tenor
Dem Kläger wird auf seine sofortige Beschwerde in Abänderung des Beschlusses des AG - FamG - Bremerhaven vom 26.5.2004 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsbestimmung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., Bremerhaven, insoweit bewilligt, als er Unterhalt in der verlangten Höhe ab März 2004 begehrt. Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist nicht zu erheben.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und auch überwiegend begründet. Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet betreffend die Zeit ab März 2004 entgegen der Ansicht des FamG hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 114 ZPO.
Die Beklagte ist dem minderjährigen Kläger gesteigert unterhaltspflichtig (§ 1603 II BGB). Es sind daher auch gesteigerte Anforderungen an die Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu stellen. Sie muss alle möglichen zumutbaren Anstrengungen auf sich nehmen, um jedenfalls den - hier nur verlangten - Unterhalt nach der ersten Gruppe der Düsseldorfer Tabelle sicherzustellen. Angesichts dieser Anforderungen genügt es nicht, wenn sie sich auf eine Teilzeiterwerbstätigkeit beschränkt. Sie ist vielmehr im Verhältnis zum Kläger gehalten, eine Ganztagstätigkeit aufzunehmen. Daran ist sie auch nicht durch die Betreuung des bei ihr lebenden, jetzt gut 12 1/2 Jahre alten Bruders des klägers gehindert. Zwar kann in Fällen, in denen minderjährige Geschwister getrennt bei jeweils einem Elternteil leben, das Erwerbseinkommen eines unterhaltspflichtigen Elternteils im Hinblick auf die Kindesbetreuung als Einkommen aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit anzusehen und deshalb nur teilweise anzurechnen sein(vgl. Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4. Aufl., § 1603 Rz. 22 m.w.N.). Eine solche Vorgehensweise ist im vorliegenden Fall aber nicht gerechtfertigt. Angesichts des Alters des von der Beklagten betreuten Kindes erscheint ihr nach Ansicht des Senats eine Ganztagstätigkeit zumutbar (vgl. dazu auch OLG Hamm v. 3.5.2002 - 13 UF 118/01, FamRZ 2003, 179; Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 2 Rz. 315).
Dafür spricht insb. ein Vergleich mit der Erwerbsobliegenheit in anderen unterhaltsrechtlichen Konstellationen. So setzt nach herrschender Meinung und Ansicht des Senats (vgl. die Unterhaltsleitlinien der Familiensenate des Hanseatischen OLG in Bremen v. 1.7.2003, Nr. 17.1) eine Vollzeiterwerbsobliegenheit eines Unterhalt begehrenden, ein Kind aus einer Ehe betreuenden geschiedenen Ehegatten mit Vollendung des 15. Lebensjahres des betreuten Kindes ein. Es ist gerechtfertigt, von einer Obliegenheit zur Vollzeiterwerbstätigkeit zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt auszugehen, wenn es - wie hier - um einen Fall gesteigerter Unterhaltspflicht ggü. einem minderjährigen Kind geht. Der Mutter, die ein nichteheliches Kind betreut und Unterhalt für sich verlangt, mutet der Gesetzgeber im Regelfall sogar die Aufnahme einer Vollzeittätigkeit bereits mit Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes zu (§ 1615l II, 3 BGB); er geht also davon aus, dass selbst die Betreuung eines dreijährigen Kindes mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit des Betreuenden nicht von vornherein unvereinbar ist. Auch das zeigt, dass Großzügigkeit in der Frage der Erwerbsobliegenheit in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht angebracht ist.
Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit ein Nettoeinkommen von knapp 1.200 Euro erzielen könnte. Ein solches Einkommen ergibt sich, wenn man den Stundenlohn von gut 10 Euro ansetzt, den die Beklagte bei ihrer bisherigen Teilzeitstelle erzielt. Auch nach Abzug von Fahrtkosten (öffentliche Verkehrsmittel) und Schuldabtrag ggü. dem Vater des Kindes (vgl. Schriftsatz der Beklagten v. 3.3.2004) verbleibt ein Betrag oberhalb des notwendigen Selbstbehalts von 840 Euro. Die Beklagte ist daher als leistungsfähig anzusehen, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob sich das Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten im Sinne einer Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit auswirkt.
Entgegen der im genannten Schriftsatz von der Beklagten vertretenen Auffassung kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine gesteigerte Unterhaltspflicht im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des den kläger betreuenden Vaters nicht zum Zuge kommt (§ 1603 II, 3 BGB). Nach den Darlegungen des Klägers zu den Belastungen seines Vaters durch Kindesunterhalt für den bei der Beklagten lebenden Bruder des Klägers und durch Hauslasten (Schriftsatz v. 16.3.2004), die unwidersprochen geblieben sind, unterschreitet das dem Vater des Klägers verbleibende Einkommen auch unter Berücksichtigung des Wohnvo...