Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhalt: eigene Erwerbsverpflichtung. Kindesunterhalt, hier: Volle Erwerbsobliegenheit des ein Kind über 3 Jahre betreuenden Unterhaltsschuldners
Leitsatz (redaktionell)
Im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit für den Unterhalt eines minderjährigen Kindes ist entsprechend der Regelung in § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB von einer vollen Erwerbsverpflichtung auszugehen, wenn der Verpflichtete selbst ein über 3 Jahre altes minderjähriges Kind betreut.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2, § 1615l Abs. 2
Verfahrensgang
AG Freising (Urteil vom 08.06.2004; Aktenzeichen 1 F 199/04) |
Tenor
1. Der Beklagten wird für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt, soweit sie mit der Berufung begehrt,
- Herabsetzung des gemäß Urteil des AG festgesetzten rückständigen Kindesunterhalts für J.G., geb. 14.4.1995 auf 2.700 Euro
- Herabsetzung des festgesetzten rückständigen Kindesunterhalts für F.G., geb. 3.7.1996 auf 2.700 Euro
- Herabsetzung des Unterhalts für jedes der beiden Kinder für die Monate 04+05/04 auf je 108 Euro
- Herabsetzung des Kindesunterhalts für jedes Kind ab 1.6.2004 auf monatlich 28 Euro.
Insoweit wird der Beklagten Rechtsanwältin H.-L. beigeordnet.
2. Den Parteien wird geraten, sich auf dieser Ebene zu vergleichen.
3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 8.768 Euro (§ 42 Abs. 5 GKG - 6/03 = 16 × 151 × 2 = 4.832 + § 42 GKG 12 × 164 × 2 = 3.936) festgesetzt.
Gründe
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG Freising vom 8.6.2004 hat nur teilweise Aussicht auf Erfolg. Völlig zu Recht hat das AG festgestellt, dass die Beklagte gem. § 1601 BGB unterhaltspflichtig ist. Eine etwaige Freistellungsvereinbarung zwischen den Eltern bindet nur diese und hindert das Kind nicht, seinen Unterhaltsanspruch geltend zu machen (Scholz/Wendl, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 2 Rz. 522). Die Beklagte trifft auch grundsätzlich die erhöhte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB. Die Beklagte kann sich als Mutter der beiden nicht bei ihr lebenden Kinder deren Unterhaltsanspruch grundsätzlich nicht mit der Begründung entziehen, sie betreue ein weiteres aus der Ehe stammendes Kind (vgl. Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 2 Rz. 166, 167 + 315). Die insb. beim Ehegattenunterhalt geltende Regel, dass ein Kleinkind der ständigen Betreuung durch ein Elternteil bedarf, kann nicht ohne weiteres herangezogen werden, da jeder der Eltern für den Unterhalt jedes seiner Kinder zu sorgen hat (BGH FamRZ 1982, 25; OLG Frankfurt v. 12.2.1992 - 4 UF 118/91, FamRZ 1992, 979; OLG Stuttgart v. 7.2.1984 - 18 WF 548/83, FamRZ 1984, 611).
Die Erwerbsfähigkeit kann nur unter ganz besonderen Umständen verneint werden, wenn z.B. eine Fremdbetreuung des kleinen Kindes nicht möglich ist. Das Kind der Beklagten ist nach eigenen Angaben von 7.15 Uhr bis 12.15 Uhr täglich im Kindergarten. Die Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, dass das Kind nicht ganztags im Kindergarten betreut werden kann. Entsprechend der Grundsätze der gesetzlichen Regelung des § 1615 Buchst. l Abs. 2 BGB muss von ihr spätestens ab dem dritten Lebensjahr eine Ganztagstätigkeit verlangt werden. Das Kind kann von diesem Zeitpunkt ganztags untergebracht werden. Eine Ganztagsbeschäftigung ist der Beklagten auf Grund der persönlichen, insb. der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse, auch zumutbar.
Die von ihr in der Vergangenheit beim Vater ausgeführte Tätigkeit ist mit Sicherheit zu gering bezahlt worden.
Als Reinigungsfrau ist sie in der Lage, in der Stunde 8 Euro zu verdienen.
Das ergibt bei 160 Stunden im Monat ein Einkommen von 1.280 Euro. Nach Abzug der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge verbleiben ihr davon monatlich 943 Euro, nach Abzug von 5 % berufsbedingter Aufwendungen 896 Euro.
Der Selbstbehalt der Beklagten ist in der Zeit, in der sie bei ihrem Vater gewohnt hat, zumindest um 160 Euro monatlich herabzusetzen. Sie gibt selbst an, monatlich 200 Euro an Miete zu zahlen. Es kann nicht unterstellt werden, dass sie keine Miete zahlen muss, zumindest nicht dann, wenn sie nicht mehr - wie hier beim fiktiv angesetzten Einkommen - angenommen, beim Vater arbeitet, da der gering ausgezahlte Lohn möglicherweise mit den Mietkosten verrechnet wurde.
Rückzahlungen auf die Darlehensschuld bei der S.-bank sind nicht nachgewiesen.
Bei einem reduzierten Selbstbehalt von 680 Euro verbleiben mithin 216 Euro für den Kindesunterhalt.
Die Beklagte ist zur Zahlung von Kindesunterhalt in dieser Höhe bis einschließlich Mai 2004 verpflichtet.
Da der Vater sich seit Juni nicht mehr in Deutschland aufhält, erhält sie ab diesem Zeitpunkt keine Zuwendungen von diesem, insb. in Form des verbilligten Wohnens mehr. Bei einem Selbstbehalt von 840 Euro ist sie ab diesem Zeitpunkt nur mehr in der Lage, Kindesunterhalt i.H.v. 28 Euro pro Kind zu zahlen.
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, wegen Betreuung eines Onkels in Spanien kein Erwerbseinkommen erzielen zu können.
In diesem Umfang war der Beklagten Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Fundstellen