Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsobliegenheit eines gegenüber einem minderjährigen Kind zum Unterhalt Verpflichteten trotz Aufnahme eines. von dem anderen Elternteil gebilligten. Studium
Leitsatz (amtlich)
Der einem minderjährigen Kind gegenüber zum Unterhalt Verpflichtete, der über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, aber wegen eines Studiums nicht erwerbstätig ist, ist angesichts seiner gesteigerten Unterhaltsverpflichtung im Regelfall unterhaltsrechtlich gehalten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Das gilt auch dann, wenn der - vom anderen Elternteil gebilligte - Lebensplan des Unterhaltsverpflichteten ursprünglich ein Studium vorsah.
Normenkette
BGB §§ 1601, 1603 Abs. 2; ZPO §§ 114, 287
Verfahrensgang
AG Bremen (Aktenzeichen 61 F 3035/05) |
Tenor
I. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. R. für die Anschlussberufung sowie für die Verteidigung gegen die von der Beklagten eingelegte Berufung (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO) bewilligt.
II. Der Antrag der Beklagten, ihr für die Berufung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe
Die Parteien streiten um Unterhalt für ein minderjähriges Kind.
I. Die Klägerin ist die am 18.9.1997 geborene Tochter der Beklagten. Seit 1.3.2004 lebt sie bei ihrem Vater, dem geschiedenen Ehemann der Beklagten. Die Beklagte, die ebenso wie der Kindesvater aus dem Iran stammt und seit 1997 in Deutschland lebt, schloss im Jahr 2003 eine Ausbildung zur IT-Systemkauffrau ab und nahm zum Wintersemester 2004/2005 ein Studium auf. Sie bezieht im Wesentlichen BAföG-Leistungen.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1.12.2004 Kindesunterhalt i.H.v. jeweils 100 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen.
Das AG - FamG - Bremen hat der Klage mit dem - mit der Berufung und Anschlussberufung angefochtenen - Urteil vom 10.5.2006 nur teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit von Dezember 2004 bis einschließlich August 2009 einen monatlichen Kindesunterhalt von 100 EUR und ab September 2009 von 100 % des Regelbetrages zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagten müsse es möglich sein, ein Studium durchzuführen. Allerdings sei ihr ein Nebenverdienst zuzumuten, der es ihr erlaubte, bis zum Abschluss des Studiums monatlich 100 EUR an die Klägerin zu zahlen.
Hiergegen haben die Parteien Berufung und Anschlussberufung eingelegt und hierfür jeweils um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht.
II. Die Berufung hat - anders als die Anschlussberufung - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 114 Satz 1 ZPO.
Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, dass sie in rechtserheblicher Weise außer Stande ist, den von der Klägerin gem. §§ 1601, 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB begehrten Kindesunterhalt zu zahlen.
Zu Recht hat die Klägerin in ihrer Anschlussberufung darauf verwiesen, dass die Beklagte angesichts ihrer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung bei einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung unterhaltsrechtlich nicht berechtigt ist, das aufgenommene Studium zunächst einmal abzuschließen. Vielmehr hätte die Beklagte sich in der gebotenen Weise um eine Anstellung entsprechend ihrer Ausbildung bemühen müssen. Da sie solche Bemühungen nicht dargetan hat, ist ihr ein fiktives Einkommen zuzurechnen.
1. Ob und inwieweit ein Unterhaltspflichtiger leistungsfähig ist, wird nicht allein durch sein tatsächliches Einkommen und Vermögen bestimmt, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit. Er ist verpflichtet, seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und den Arbeitsmarktverhältnissen so gut wie möglich einzusetzen und muss sich Einkünfte anrechnen lassen, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte (vgl. BGH, FamRZ 2003, 1471, 1473; 2000, 1358, 1359; 1985, 158, 159; Wendl/Staudigl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl. 2004, § 1 Rz. 489). Das bedeutet, dass die berufliche Dispositionsmöglichkeit und freie Entfaltung der Persönlichkeit weitgehend hinter der Elternverantwortung zurücktritt (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.2.2004 - 6 WF 60/03 - JURIS, Rz. 12; OLG Zweibrücken, FamRZ 1999, 881). Denn das Recht eines Unterhaltsverpflichteten auf Verwirklichung seiner Berufswünsche besteht nicht uneingeschränkt. Berufliche Entscheidungsfreiheit und Unterhaltspflicht stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung zueinander. Dies bedeutet, dass der Unterhaltsberechtigte eine Einschränkung seines Unterhalts hinnehmen muss, wenn sie auf einer anzuerkennenden beruflichen Veränderung des Verpflichteten beruht; andererseits muss dieser Rücksicht auf die Belange eines Unterhaltsgläubigers nehmen (OLG Bamberg, FamRZ 1989, 93, 94). Hieraus hat der BGH (FamRZ 1987, 372) die Obliegenheit zur Bildung von Rücklagen, Aufnahme eines Kredits oder sonstigen geeigneten Maßnahmen hergeleitet. Scheiden aber derartige Möglichkeiten - wie offe...