Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn Beschwerdefrist für erstinstanzlich übergangenen Muss-Beteiligten
Leitsatz (amtlich)
1. Erlangt ein erstinstanzlich übergangener Muss-Beteiligter Kenntnis von der bloßen Existenz einer für ihn nachteiligen instanzbeendenden Entscheidung, ohne deren Inhalt zu kennen, entsteht für ihn eine Obliegenheit zur Erkundigung über den Inhalt der Entscheidung.
2. Zugleich beginnt in entsprechender Anwendung von § 18 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 FamFG der Lauf einer Beschwerdefrist von einem Jahr.
Normenkette
FamFG § 18 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, § 63 Abs. 3, 1
Verfahrensgang
AG Bremerhaven (Aktenzeichen 153 F 869/12) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremerhaven vom 19.2.2014 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.680 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten haben am 20.3.2008 die Ehe miteinander geschlossen. Die Antragsgegnerin ist brasilianische Staatsangehörige. Der am [...] 2014 verstorbene Antragsteller war deutscher Staatsangehöriger. Mit Rechtsanwaltsschriftsatz vom 20.7.2012 hatte er beim Amtsgericht [...] die Scheidung der Ehe beantragt und angegeben, dass ihm der Aufenthalt der Antragsgegnerin nicht bekannt sei. Mit Beschlüssen vom 15.11.2012 und 10.10.2013 hat das Amtsgericht die öffentliche Zustellung des Scheidungsantrags und der Ladung zum Scheidungstermin an die Antragsgegnerin angeordnet. Mit Beschluss vom 19.2.2014 hat das Amtsgericht die Ehe der Beteiligten geschieden und sodann mit Beschluss vom 28.2.2014 auch die öffentliche Zustellung des Scheidungsbeschlusses und des Sitzungsprotokolls an die Antragsgegnerin angeordnet. Die öffentliche Zustellung des Scheidungsbeschlusses erfolgte durch Aushang an der Gerichtstafel im Zeitraum vom 18.3.2014 bis 22.4.2014.
Gegen den Scheidungsausspruch wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 31.5.2023 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, die sie damit begründet, dass ihr der angefochtene Beschluss bislang nicht förmlich zugestellt worden sei. Das Amtsgericht habe zu Unrecht die öffentliche Zustellung angeordnet. Das Gericht habe sich allein auf die Angaben des Antragstellers verlassen, wonach die Antragsgegnerin unbekannt verzogen sei und noch nicht einmal um Mitteilung der aus der Heiratsurkunde (vgl. Bl. 101 der Akte) ersichtlichen vormaligen Anschrift der Antragsgegnerin gebeten, unter der sie auch heute noch postalisch erreichbar sei.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass das Scheidungsverfahren durch den Tod des Antragstellers erledigt ist.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat keinen Antrag formuliert.
II. 1. Trotz des Umstandes, dass der Antragsteller am [...] 2014 verstorben ist, tritt im vorliegenden Fall eine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, 239 Abs. 1 ZPO nicht ein. Denn der Antragsteller ist im vorliegenden Verfahren durch eine Verfahrensbevollmächtigte vertreten. Weder die Verfahrensbevollmächtigte noch der Gegner haben die Aussetzung des Verfahrens beantragt (§ 113 Abs. 1 FamFG, 246 Abs. 1 ZPO).
2. Die Beschwerde ist unzulässig, weil die angefochtene Entscheidung dadurch in Rechtskraft erwachsen ist, dass die Antragsgegnerin nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung von der Existenz eines Scheidungsbeschlusses Beschwerde eingelegt hat.
a) Die Beschwerdefristen des § 63 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 FamFG sind für die Antragsgegnerin nicht in Gang gesetzt worden.
aa) Gemäß § 63 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 FamFG beginnt die einmonatige Beschwerdefrist jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Der Antragsgegnerin ist der angefochtene Beschluss allerdings nicht bekannt gegeben worden, weil die Voraussetzungen für die vom Amtsgericht vorgenommene öffentliche Zustellung des Scheidungsbeschlusses nicht vorgelegen haben (vgl. BGH, FamRZ 2012, 1376 Rn. 15).
Gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 FamFG kann die Bekanntgabe durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO erfolgen. Eine Zustellung in diesem Sinne ist nicht erfolgt. Insbesondere ist die vom Amtsgericht gemäß § 185 ZPO vorgenommene öffentliche Zustellung nicht wirksam.
Gemäß § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist.
Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person nur dann, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt. Dabei ist es zunächst Sache der Partei, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht darzulegen. Dies gilt auch, wenn die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist. Die überwiegende...