Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Vollstreckung, nicht zu ersetzender Nachteil
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag auf Einstellung der Vollstreckung nach § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG in der Beschwerdeinstanz ist nicht schon deshalb unzulässig, weil der den Antrag stellende Beteiligte in erster Instanz keinen Antrag nach § 120 Abs. 2 S. 2 FamFG gestellt hat.
2. Der dauerhafte Verlust einer nicht geschuldeten Geldsumme (hier: überzahlter Unterhalt) kann ein nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. § 120 Abs. 2 S. 2 FamFG sein.
Normenkette
FamFG § 120 Abs. 2 S. 2, § 120 S. 3
Verfahrensgang
AG Bremen (Beschluss vom 15.06.2010; Aktenzeichen 62 F 3927/09) |
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners vom 31.8.2010, die Vollstreckung aus dem Beschluss des AG - Familiengerichts - Bremen vom 15.6.2010 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Das Familiengericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 15.6.2010, der am 9.7.2010 verkündet wurde, verpflichtet, an die Antragstellerin Unterhalt für die gemeinsamen Kinder der Beteiligten zu zahlen. Dagegen hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 12.8.2010 Beschwerde erhoben.
Mit Schriftsatz vom 31.8.2010 beantragt der Antragsgegner, die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 15.6.2010 ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Zur Begründung trägt er vor, die Beschwerde habe überwiegende Aussicht auf Erfolg. Ohne Einstellung der Vollstreckung stehe zu befürchten, dass ein etwaiger Rückzahlungsanspruch nicht vollstreckt werden könne.
II. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner in erster Instanz keinen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 120 Abs. 2 S. 2 FamFG gestellt hat. Die ständige Rechtsprechung des BGH, nach der ein Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO unzulässig ist, wenn in der Berufungsinstanz kein Antrag nach § 712 ZPO gestellt worden ist, ist auf die Entscheidung nach § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG im Beschwerdeverfahren nicht übertragbar. Entgegen einer in der Literatur zu findenden Auffassung hat der BGH nicht allgemein entschieden, dass eine Einstellung der Zwangsvollstreckung in einer höheren Instanz ausgeschlossen sei, wenn der Schuldner nicht in der Vorinstanz einen Antrag auf Vollstreckungsschutz gestellt habe (so aber Große-Boymann, in: Eckebrecht u.a., Verfahrenshandbuch Familiensachen, 2. Aufl. 2010, § 1 Rz. 504).
Die hierzu ergangenen Entscheidungen des BGH beziehen sich ausdrücklich auf § 719 Abs. 2 ZPO. Sie beruhen auf der spezifisch revisionsrechtlichen Erwägung, dass ein Vollstreckungsschutzantrag bei einem Revisionsgericht nur als letztes Hilfsmittel in Betracht kommen darf (so bereits BGH, Beschl. v. 25.8.1978, NJW 1979, 1208; daran anschließend BGH, Beschl. v. 28.3.1990, FamRZ 1990, 996; BGH, Beschl. v. 3.7.1991, FamRZ 1991, 1176 [1177]; BGH, Beschl. v. 31.10.2000, NJW 2001, 375). Diese Erwägung ist nicht auf das Beschwerdeverfahren übertragbar, in dem die Beteiligten noch eine zweite Tatsacheninstanz vor sich haben (so jetzt auch LArbG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.1.2009 - 15 Sa 2311/08, zitiert nach juris, unter ausdrücklicher Aufgabe der Rechtsprechung im Beschluss vom 23.8.2007, NZA 2008, 42; ebenso zu §§ 707, 719 Abs. 1 ZPO: KG, Beschluss vom 11.10.2004, MDR 2005, 117; OLG Jena, Beschluss vom 26.1.2001, MDR 2002, 289; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.12.1986, NJW-RR 1987, 702; zu §§ 707, 719 ZPO a.A. OLG Koblenz, Beschluss vom 22.12.1998, FamRZ 2000, 1165; OLG Köln, Beschluss vom 2.1.1997, JurBüro 1997, 553; OLG Celle, Beschluss vom 13.1.1993, JurBüro 1994, 311; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.9.1984, NJW 1984, 2955).
Die Übertragung der Rechtsprechung des BGH zu § 719 Abs. 2 ZPO auf § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG hätte zudem aufgrund der Regelungssystematik der §§ 116, 120 FamFG insbesondere in Unterhaltssachen zur Folge, dass der zweitinstanzliche Vollstreckungsschutz nach § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG weitgehend ins Leere liefe. Nach § 116 Abs. 3 S. 3 FamFG soll das Gericht die sofortige Wirksamkeit anordnen, soweit eine Endentscheidung eine Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt enthält. Vor diesem Hintergrund hat der Schuldner erstinstanzlich in Unterhaltssachen praktisch keine Möglichkeit, einen Antrag nach § 120 Abs. 2 S. 2 FamFG erfolgversprechend zu begründen. Eine übermäßige Belastung des Schuldners, etwa bei länger zurückliegenden Unterhaltsrückständen, hat das Gericht nach der Gesetzesbegründung bereits im Rahmen der Interessenabwägung nach § 116 Abs. 3 S. 3 FamFG zu berücksichtigen (BT-Drucks. 16/6308, 224). Soweit der Schuldner das Vorliegen eines unersetzlichen Nachteils mit einer seine Existenz bedrohenden wirtschaftlichen Gefährdung begründet, kann er damit regelmäßig nicht gehört werden, da das erstinstanzliche Gericht ihn ohnehin nur zur Leistung verpflichten wird, soweit es ihn als leistungsfähig ansieht. Ebenso kann der Schuldner seinen Antrag auf Vollstreckungsschutz erstinstanzlich nicht damit begründen, dass er die Leistung nicht schuldet, da das Gericht...