Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zulässigkeit einer Auslieferung nach Ungarn aufgrund eines Europäischen Haftbefehls und zur Prüfung der dortigen Haftbedingungen. Strafprozessrecht. Europäischer Haftbefehl. Auslieferung. Ungarn. Haftbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Vorliegen systemischer oder allgemeiner Mängel der Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedstaat belegt, dann sind diese allgemeinen Bedenken nicht schon dadurch auszuräumen, dass der ersuchende Mitgliedstaat besondere Möglichkeiten des Rechtsschutzes für Inhaftierte gegen ihre Haftbedingungen vorsieht.

2. Im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls müssen die Gerichte des vollstreckenden Mitgliedstaates, wenn systemische oder allgemeine Mängel der Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedstaat belegt sind, die konkreten Haftbedingungen in sämtlichen Haftanstalten des ersuchenden Mitgliedstaates prüfen, in denen der Verfolgte nach den vorliegenden Informationen wahrscheinlich inhaftiert sein wird. Dies schließt auch Haftanstalten ein, in denen der Verfolgte nur vorübergehend oder zu Übergangszwecken inhaftiert sein wird.

3. Bei der Prüfung der konkreten Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedstaat im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls dürfen Erklärungen der Behörden des ersuchenden Mitgliedstaates zu den konkreten und genauen Haftbedingungen des Verfolgten, auch wenn sie nicht von der ausstellenden Justizbehörde erteilt oder von ihr gebilligt wurden, im Rahmen einer Gesamtwürdigung berücksichtigt werden.

 

Normenkette

IRG §§ 3, 29, 32, 73, 81, 83, 83a

 

Tenor

I. Die Auslieferung des Verfolgten ... an die Republik Ungarn zum Zwecke der Vollstreckung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 14.09.2017 (Az.: ...) wird für zulässig erklärt.

II. Die Auslieferungshaft aufgrund des Auslieferungshaftbefehls vom 19.12.2017 hat fortzudauern und der Auslieferungshaftbefehl vom 19.12.2017 war nicht außer Vollzug zu setzen.

 

Gründe

I.

Die ungarischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 31.10.2017 (Az.: ...) um die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Ungarn zum Zwecke der Strafvollstreckung. Mit diesem Europäischen Haftbefehl wird um die Festnahme und Übergabe des Verfolgten zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 14.09.2017 (Az.: ...) ersucht.

Nach dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 31.10.2017 erfolgte die Verurteilung des Verfolgten durch das Urteil des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 14.09.2017 wegen dreier Straftaten:

- eine Tat der Sachbeschädigung und der Körperverletzung am 05.02.2016: [...]

- ein Betrug in einem minderschweren Fall am 20.02.2016: [...]

- ein Einbruchsdiebstahl zwischen dem 13.07.2016 und dem 16.07.2016: [...]

Als anwendbare Bestimmungen des ungarischen Strafgesetzbuchs werden die § 164 Abs. 1, § 370 Abs. 1 und Abs. 2 bzw. Abs. 3 Buchst. b) ba), § 371 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a), § 373 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a) des ungarischen StGB genannt.

Gegen den Verfolgten wurde am 12.12.2017 durch das Amtsgericht Bremen aufgrund des Europäischen Haftbefehls vom 31.10.2017 eine Festhalteanordnung erlassen. Bei seiner richterlichen Vernehmung am selben Tag hat sich der Verfolgte mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt. Er befand sich zuvor bereits seit dem 23.11.2017 aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 29.09.2017 in Auslieferungshaft, wobei dieser Auslieferungshaftbefehl auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 22.09.2017 ergangen war und auf einem vorangegangenen Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 02.08.2017 (Az. ...) beruhte. Dieser Europäische Haftbefehl vom 02.08.2017 war gerichtet auf eine Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der Taten, derentwegen der Verfolgte nachfolgend mit Urteil des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 14.09.2017 verurteilt wurde. Nach Rechtskraft dieses Urteils wurde der Europäische Haftbefehl vom 02.08.2017 am 16.10.2017 aufgehoben, was dem Senat erst am 12.12.2017 bekannt wurde. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat der Senat mit Beschluss vom 19.12.2017 unter Aufhebung des vorangegangenen Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 29.09.2017 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten unter Bezugnahme auf den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 31.10.2017 angeordnet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 12.12.2017 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Ungarn zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Nyiregyháza vom 14.09.2017 für zulässig zu erklären. Mit Schriftsatz vom 18.12.2017 hat der Beistand des Verfolgten beantragt, die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Ungarn abzulehne...

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