Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltschutz: Tatbestandsverwirklichung der Drohung mit einer Körperverletzung durch Drohgebärde mit geballter Faust und Beschimpfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Tatbestand der Drohung mit einer Körperverletzung i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG erfordert eine ernsthafte Drohung und ist abzugrenzen von bloßen situationsbedingten Verwünschungen, Beschimpfungen und Prahlereien.

2. Ob ein Verhalten eine ernsthafte Drohung mit einer Körperverletzung darstellt, ist aus der Sicht des objektiven Durchschnittsmenschen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des streitgegenständlichen Geschehensablaufs zu beurteilen.

 

Normenkette

GewSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Bremerhaven (Beschluss vom 08.12.2009)

AG Bremerhaven (Beschluss vom 02.09.2009)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners werden die Beschlüsse des AG - Familiengericht - Bremerhaven vom 2.9.2009 und 8.12.2009 dahingehend abgeändert, dass der Antrag des Antragstellers auf Anordnung von Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz zurückgewiesen wird.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 1.000 festgesetzt.

 

Tatbestand

Das OLG Bremen hatte über eine Beschwerde gegen eine einstweiligen Anordnung nach dem GewSchG zu entscheiden. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, dem Beschwerdegegner bei einem Streit mit den Worten "Was willst Du überhaupt, Du kleiner Wichser?" seine Faust wenige Zentimeter vor das Gesicht gehalten zu haben. Das OLG Bremen hat der Beschwerde stattgegeben, weil es in der Handlung des Beschwerdeführers lediglich eine situationsbedingte Verwünschung gesehen hat, die den Tatbestand der Drohung mit einer Körperverletzung i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG nach den Gesamtumständen des konkreten Falles nicht erfüllt.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beteiligten sind jeweils Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft A-Straße ... in B. Der Antragsteller ist zugleich Verwalter dieser Wohnungseigentümergemeinschaft. Zwischen den Beteiligten bestehen diverse Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Verwaltung. Am 1.9.2009 suchte der Antragsgegner den Antragsteller in Begleitung einer Wohnungsinteressentin, der Zeugin K., in dessen Büro auf, um Einsicht in die Beschlusssammlung zu nehmen. Hierbei kam es zum Streit zwischen den Beteiligten. Der Antragsteller hat erstinstanzlich behauptet, der Antragsgegner habe ihm im Verlaufe dieses Streits mit den Worten "Was willst Du überhaupt, Du kleiner Wichser?" seine Faust wenige Zentimeter vor das Gesicht gehalten. Er hat deswegen am 2.9.2009 beim AG Bremerhaven den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (nachfolgend GewSchG) beantragt. Mit Beschluss vom selben Tage hat das AG dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung befristet bis zum 2.3.2010 untersagt, sich der Wohnung des Antragstellers bis auf eine Entfernung von weniger als 100 m zu nähern sowie Zusammentreffen mit dem Antragsteller herbeizuführen und den Antragsteller zu belästigen und zu bedrohen. Auf Antrag des Antragsgegners hat das AG über diese Entscheidung mündlich verhandelt und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen M., Sutherland und K.. Mit Beschluss vom 8.12.2009, der dem Antragsgegner am 16.12.2009 zugestellt wurde, hat das AG den Beschluss vom 2.9.2009 aufrechterhalten. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 28.12.2009 eingelegten und zugleich begründeten Beschwerde.

II. Die Beschwerde ist statthaft (§ 57 S. 2 Nr. 4 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, insb. fristgemäß eingelegt worden (§§ 63 Abs. 2 Nr. 1, 64 FamFG). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung der ersten Instanz erfüllt der vom Antragsteller behauptete und vom AG als bewiesen erachtete Geschehensablauf, wonach der Antragsgegner dem Antragsteller mit den Worten "Was willst Du, Du kleiner Wichser?" die geballte Faust vor das Gesicht gehalten haben soll, nicht den Tatbestand der Drohung mit einer Körperverletzung i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 GewSchG. Zwar muss eine Drohung in diesem Sinne nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch konkludent zum Ausdruck kommen (vgl. zum identischen Begriff der Drohung im Strafrecht: LK/Träger/Schluckebier, StGB, 11. Aufl., § 241 Rz. 7). Tatbestandsmäßig sind jedoch nur ernsthafte Drohungen i.S.d. §§ 240, 241 StGB. Bloße Verwünschungen, Beschimpfungen oder Prahlereien reichen nicht aus (Hoppenz/Müller, Familiensachen, 9. Aufl., § 1 GewSchG Rz. 31; Palandt/Brudermüller, BGB, 68. Aufl., § 1 GewSchG Rz. 9; OLG Schleswig NJW-RR 2004, 156). Für die Abgrenzung kommt es darauf an, ob der Drohende unter Würdigung der Gesamtumstände den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt bzw. ob die Ankündigung gewalttätigen Verhaltens aus der Sicht des objektiven Durchschnittsmenschen ernst zu nehmen war (LK/Träger/Schluckebier, a.a.O., 11. Aufl., § 241 Rz. 10; MünchKomm/Gropp/Sinn, StGB, § 241 Rz. 5).

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des vorli...

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