Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferung eines Verfolgten wegen eines Straftatbestandes, den das deutsche Strafrecht so nicht kennt (hier: Misshandlung von Angehörigen nach Art. 207 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches). Strafprozessrecht. Auslieferung. beiderseitige Strafbarkeit. Misshandlung von Angehörigen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Auslieferung eines Verfolgten zur Strafvollstreckung, dem eine Misshandlung von Angehörigen nach Art. 207 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches vorgeworfen wird, kann zulässig sein, obwohl das deutsche Strafrecht diesen Tatbestand nicht kennt. Die nach § 3 IRG erforderliche beiderseitige Strafbarkeit ist jedenfalls dann gegeben, wenn einzelne Ausführungshandlungen des als Dauerdelikt ausgestalteten polnischen Straftatbestandes auch nach deutschem Strafrecht strafbar wären und sie einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem Dauerdelikt darstellen.
2. Ein Verstoß gegen den nach § 73 IRG auch in einem solchen Fall zu berücksichtigenden ordre public kommt nur in Betracht, wenn die verhängte Strafe für die nach deutschem Recht allein strafbare Tat als unerträglich schwer anzusehen ist.
Normenkette
IRG §§ 3, 73, 81
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten [...] an die Republik Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 15.10.2014 (Az.: II Kop 180/14) aufgeführten Taten wird für zulässig erklärt.
Gründe
I. Die polnischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 15.10.2014 (Az.: II Kop 180/14) um die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafvollstreckung. Die Tathandlungen, für die der Verfolgte verurteilt wurde, werden im Europäischen Haftbefehl wie auch in dem 30.09.2009 (Az.: II K 718/09) wie folgt beschrieben:
In dem Zeitraum von 2007 bis 14. April 2009 misshandelte er in Zielona Gora seine Ehefrau [...] psychisch und körperlich, indem er zu Hause Streit anfing, wobei er die Geschädigte mit allgemein als beleidigend anerkannten Wörtern beschimpfte, sie zerrte und schubste. Zudem misshandelte er im Zeitraum von September 2008 bis 13. April 2009 seinen Sohn [...] psychisch und körperlich, indem er ihn mit allgemein als beleidigend anerkannten Wörtern beschimpfte und ihn mit der Hand und einem Bambusstock auf den Kopf und auf andere Körperteile schlug; außerdem machte er es seinem Sohn unmöglich, das Haus zu verlassen, Fernsehen zu schauen oder den Computer zu benutzen.
Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Amtsgericht in Zielona Gora am 30.09.2009 wegen "Misshandlung" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Nachdem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zunächst offenbar zur Bewährung ausgesetzt worden ist, hat das Amtsgericht in Zielona Gora mit Beschluss vom 11.06.2013 (Az.: II Ko 539/13) die Vollstreckung der Freiheitsstrafe angeordnet.
Der Verfolgte ist am 03.01.2015 aufgrund einer Festnahmeausschreibung im Schengener Informationssystem vorläufig festgenommen worden. Am selben Tag hat das Amtsgericht Bremen gegen den Verfolgten eine Festhalteanordnung erlassen. Bei seiner Vernehmung durch die Vorermittlungsrichterin hat sich der Verfolgte mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt.
Mit Schreiben vom 14.01.2015 hat das Landgericht Zielona Gora gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft Bremen erklärt, dass nach polnischem Recht nach Erlass des Urteils nicht festgestellt werden könne, welche Strafe allein wegen der Handlungen zum Nachteil des Sohnes gegen den Verfolgten verhängt worden wäre.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 19.01.2015 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung für zulässig zu erklären. Hierzu hatten der Verfolgte und sein Beistand Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Da der Verfolgte sich mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt hat, hatte der Senat gemäß der §§ 29, 32 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden.
Diese war in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen auszusprechen, da die Auslieferung zulässig ist. Der Senat hat am 08.01.2015 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen. An der bereits im Auslieferungshaftbefehl im Rahmen des § 15 Abs. 2 IRG vorgenommenen Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Polen hat sich nichts geändert.
Der Europäische Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 15.10.2014 (Az.: II Kop 180/14) genügt den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Weiterer Auslieferungsunterlagen bedarf es nicht.
Die Voraussetzungen des § 81 IRG liegen ebenfalls vor. Gemäß § 82 IRG sind die §§ 5, 6 Abs. 1, 7 und 11 IRG hier nicht anwendbar. Es liegt auch keiner der Fälle des § 83 Nr. 1 - 4 IRG vor. Insbesondere liegt eine beiderseitige Strafbarkeit i.S.v. § 81 i.V.m. § 3 IRG vor.
Beiderseitige Strafbarkeit bedeutet, dass das in den Auslieferungsunterlagen mitgeteilte Verhalten des Verfolgten, das dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Ta...