Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruch gegen das Zustandekommen eines Versicherungsvertrags
Leitsatz (amtlich)
Kann der Verbraucher im Einzelfall von einer allenfalls geringfügig vom gesetzlichen Leitbild abweichenden Widerspruchsbelehrung durch Anwendung der für ihn günstigsten Regelung Gebrauch machen, so ist ein ewiges Widerspruchsrecht unverhältnismäßig (im Anschluss an EuGH Urteil vom 19.12.2019 C-355/18 bis C 237/18 und C-479/18).
Fehlt in der Widerspruchsbelehrung der Hinweis darauf, dass zur Wahrung der Widerspruchsfrist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs reicht, kann der Verbraucher davon ausgehen, dass die Versicherung, bei nachgewiesener Absendung des Widerspruchs am letzten Tag der Frist, keine Einwendungen gegen dessen Rechtzeitigkeit erheben kann.
Normenkette
VVG a.F. (Juli 2004) § 5a Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1643/19) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bremen, 6. Zivilkammer, vom 16.07.2020 wird durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufung wird auf 2.428,02 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Berufung des Klägers war gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen. Zur Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses des Senats vom 21.12.2020 Bezug genommen.
Der Senat bleibt nach erneuter Beratung auch unter Berücksichtigung der vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 18.01.2021 erhobenen Einwände und Argumente gegen den vorgenannten Beschluss bei seiner Entscheidung, eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten:
Angesichts des Wortlauts des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG in der zum Vertragsschluss gültigen Fassung (Juli 2004) könnte die Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitschreiben bereits als ordnungsgemäß angesehen werden. Denn der Kläger ist darin in drucktechnisch hervorgehobener Form über das Widerspruchsrecht (insbesondere über das Formerfordernis), den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden, so wie es die vorgenannte Vorschrift verlangte. Ihm ist darüber hinaus mit dem - im hervorgehobenen Text der Belehrung enthaltenen - Hinweis auf die Allgemeinen Bedingungen mitgeteilt worden, wo er weitere Angaben für die Geltendmachung des Widerspruchs finden konnte, so etwa die Berechnung der Frist (§ 4 der AVB ist mit einer Überschrift zum Widerspruch versehen und weist in Abs. 2 S. 2 darauf hin, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt).
Der Senat lässt die Frage der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Belehrung jedoch offen.
Entscheidend ist, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Kläger mit Schreiben vom 20.11.2017 treuwidrig war (§ 242 BGB), weil ihm durch eine eventuell geringfügig abweichende Belehrung nicht die Möglichkeit genommen war, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter den Bedingungen auszuüben, wie dies bei zutreffender Belehrung der Fall gewesen wäre (dazu EuGH Urteil vom 19.12.2019 C-355/18 bis C 237/18 und C-479/18 Rdnr. 79 - juris). Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zum Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrecht, die europäisches Recht umgesetzt hatten, ist es, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, sich im Besitz der Versicherungsvertragsunterlagen über das seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechende Produkt zu informieren (EuGH a.a.O. Rdnr. 63). Diese Möglichkeit hatte der Kläger, und zwar für die gesamte Dauer der gesetzlich vorgesehenen Widerspruchsfrist. Da sich aus der streitgegenständlichen Belehrung überhaupt kein Hinweis auf die Berechnung des Fristablaufs ergab, konnte er guten Gewissens davon ausgehen, die Absendung eines Widerspruchs am letzten Tag der Frist vornehmen zu können, ohne dass die Beklagte - bei entsprechendem Nachweis der Absendung - Einwendungen hätte erheben können. Diese Annahme hätte er auch in den AVB bestätigt gefunden.
Angesichts dieses Umstandes ist im streitgegenständlichen Fall der allenfalls geringfügig abweichenden, vom Verbraucher aber unter dem Gesichtspunkt seiner Meistbegünstigung anwendbaren Belehrung, ein ewiges Widerspruchsrecht unter Berücksichtigung der dargelegten Ziele der Widerspruchsfrist unverhältnismäßig.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Die Entscheidung über die Treuwidrigkeit des Widerspruchs ist eine Einzelfallentscheidung. Auch der Bundesgerichtshof hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass bei marginalen Fehlern der Belehrung eine Verwirkung des Widerrufsrechts möglich ist (BGH, Urteil vom 01. Juni 2016 - IV ZR 482/14 Rdnr. 23 -, juris). Dies gilt erst Recht nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der zudem lediglich auf die Unverhältnismäßigkeit eines ewi...