Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstandswert in Ehesachen, Leistungen nach SGB II als Einkommen
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bestimmung des Gegenstandswerts in Ehesachen sind Leistungen nach dem SGB II nicht als Einkommen i.S.d. § 43 Abs. 2 FamGKG zu behandeln.
Normenkette
FamGKG § 43 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bremen (Beschluss vom 14.04.2011; Aktenzeichen 69 F 2929/10) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Streitwertbeschluss des AG - Familiengerichts - Bremen vom 14.4.2011 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Das AG - Familiengericht - Bremen hat die Ehe der Beteiligten mit Beschluss vom 14.4.2011 geschieden. Mit weiterem Beschluss gleichen Datums hat es den Gegenstandswert für das Verfahren auf 7.800 EUR festgesetzt, und zwar auf 6.000 EUR wegen des Scheidungsausspruchs und auf 1.800 EUR wegen des Versorgungsausgleichs.
Gegen die Festsetzung des Verfahrenswerts hat der Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes Beschwerde erhoben. Er ist der Auffassung, bei der Berechnung des Gegenstandswerts seien auch die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 359 EUR und die übernommenen Wohnkosten i.H.v. monatlich 367 EUR zu berücksichtigen.
II. Die Beschwerde ist als sofortige Beschwerde gem. §§ 59 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 2 FamGKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200 EUR. Die Beschwerdefrist gem. §§ 59 Abs. 1 S. 3, 55 Abs. 3 S. 2 FamGKG ist gewahrt. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
Ob Sozialleistungen zum "erzielten Nettoeinkommen" eines Beteiligten i.S.d. § 43 Abs. 2 FamGKG gehören, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum Teil wird vertreten, Arbeitslosengeld II sei als Einkommen zu behandeln (bejahend z.B. OLG Celle, Beschluss vom 1.9.2010, NJW 2010, 3587; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.1.2011, FamRZ 2011, 992; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.1.2011, FamRZ 2011, 1423; Klüsener, in: Prütting/Helms, Komm. z. FamFG, 2. Aufl. 2011, § 43 FamGKG Rz. 12 f.; Thiel, in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Aufl. 2011, Rz. 7144 m.w.N.; dagegen u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 18.1.2011, FamRZ 2011, 1422; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.3.2011, Gesch.-Nr. 18 WF 56/11, Rz. 8, zitiert nach juris; Keske, in: Schulte-Bunert/Weinreich, Komm. z. FamFG, 2. Aufl. 2010, Rz. 9; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, Komm. z. GKG, 2. Aufl. 2009, § 43 FamGKG Rz. 6; Herget, in Zöller, Komm. z. ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 ZPO Rz. 16).
Für die Berücksichtigung von Sozialleistungen als Einkommen i.S.v. § 43 Abs. 2 FamGKG wird vorgebracht, das Gesetz sehe keine Unterscheidung verschiedener Einkommensquellen vor. Auch bei der Einführung des FamGKG im Jahr 2009 habe der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, das Nettoerwerbseinkommen zum Maßstab der Berechnung des Gegenstandswerts zu machen (Thiel, a.a.O., Rz. 7150). Es gebe keinen Grund, bei Bezug von Sozialleistungen einen anderen Verfahrenswert festzulegen als in Fällen, in denen erzielte Erwerbseinkünfte lediglich i.H.v. Sozialleistungen erzielt werden (OLG Celle, a.a.O., S. 3588). Dass bei Berücksichtigung von Arbeitslosengeld II als Einkommen der Mindestverfahrenswert von 2.000 EUR gem. § 43 Abs. 1 S. 2FamGKG weitgehend ohne Anwendungsbereich sei, sei hinzunehmen. Ein seit über 30 Jahren unveränderter Mindestwert könne keine Argumentation mehr tragen (Thiel, a.a.O., Rz. 7153; OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.). Zudem würden Leistungen nach dem SGB II teilweise im Unterhaltsrecht (s. dazu OLG Köln, Beschluss vom 18.12.2008, FamRZ 2009, 638, 639) und im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 115 ZPO als Einkommen behandelt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.7.2008, FamRZ 2009, 453).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Leistungen nach dem SGB II bei der Berechnung des Gegenstandswerts nicht zu berücksichtigen (OLG Bremen, Beschluss vom 29.11.1991, FamRZ 1992, 709; OLG Bremen, Beschluss vom 6.10.2009, Gesch.-Nr. 4 WF 104/09). Die Einführung des FamGKG gibt keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzuweichen.
Bereits der Wortlaut des § 43 Abs. 2 FamGKG spricht gegen eine Behandlung von einkommensunabhängigen Sozialleistungen als Einkommen, da diese nicht "erzielt", sondern bewilligt werden. Sie sind auch nicht Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und individuellen Belastbarkeit der Beteiligten. Ihre Bewilligung ist vielmehr gerade Ausdruck der fehlenden eigenen Mittel der Empfänger (OLG Naumburg, Beschluss vom 27.10.2008, FamRZ 2009, 639).
Zudem käme die Anwendung des in § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG bestimmten Mindestwerts regelmäßig nicht zur Anwendung, wenn Sozialleistungen als Einkommen i.S.d. § 43 Abs. 2 FamGKG behandelt würden (OLG Stuttgart Beschluss vom 23.3.2011, Gesch.-Nr. 18 WF 56/11, zitiert nach juris; OLG Bremen, Beschluss vom 6.10.2009, s.o.; OLG Hamm, Beschluss vom 20.1.2011, FamRZ 2011, 1422, 1423 m.w.N.). Dass der Mindestwert seit über 30 Jahren unverändert geblieben ist, ä...