Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei sofortigen Beschwerden gegen die Ablehnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gem. § 144 Abs. 1 StPO. Strafrecht. Strafprozessrecht. Pflichtverteidiger. zusätzlicher Pflichtverteidiger. Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts. sofortige Beschwerde. Umfang oder Schwierigkeit des Verfahrens. Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. zügige Durchführung des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Hinsichtlich des § 144 Abs. 1 StPO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei sofortigen Beschwerden gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers dahingehend eingeschränkt, dass dem Vorsitzenden des Erstgerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
2. Die Beurteilung des Vorsitzenden des Erstgerichts, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Verteidigers nicht erfordert, kann das Beschwerdegericht nur dann beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält, anderenfalls hat es sie hinzunehmen.
3. Die unbestimmten Rechtsbegriffe des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens bei § 144 Abs. 1 StPO sind enger auszulegen als bezüglich der "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" in § 140 Abs. 2 StPO, da § 144 Abs. 1 StPO den Kontext zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens herstellt, § 140 Abs. 2 StPO hingegen nicht.
4. Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers ist insbesondere nicht bereits deshalb erforderlich, weil auf der Anklageseite zwei Staatsanwälte auftreten.
Normenkette
StPO §§ 140-141, 144 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 09.02.2021; Aktenzeichen 9 KLs 321 Js 17094/20) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten R. vom 16.02.2021 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 9 des Landgerichts Bremen vom 09.02.2021 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers.
Mit Anklageschrift vom 18.12.2020 legt die Staatsanwaltschaft Bremen - Az.: 321 Js 17094/20 - den beiden Angeklagten im vorliegenden Verfahren 36 Fälle des gemeinschaftlichen bandenmäßigen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen zur Last. Dem Mitangeklagten S. werden überdies 16 Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Munition zur Last gelegt. Die in der Anklage dargelegte Beweisführung der Staatsanwaltschaft Bremen begründet sich im Wesentlichen mit der Auswertung von Encrochat-Daten, die die französischen Behörden im Jahr 2020 erhoben und den deutschen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt haben. Seit dem 16.09.2020 befinden sich beide Angeklagte in dieser Sache in Untersuchungshaft. Das Landgericht Bremen - Strafkammer 9 - ließ die Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 18.12.2020 durch Beschluss vom 24.02.2021 zur Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer zu und eröffnete das Hauptverfahren. Zugleich wurde die Untersuchungshaft aus den fortbestehenden Gründen ihrer Anordnung nach Maßgabe der Anklageschrift aufrecht und in Vollzug erhalten.
Im Zuge der Haftbefehlsverkündung am 16.09.2020 wurde dem Angeklagten R. auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin Rechtsanwalt R. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Mit Schreiben vom 26.09.2020 beantragte der Angeklagte R. selbst, ihm nunmehr Rechtsanwalt M. als Pflichtverteidiger im Rahmen eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO beizuordnen. Rechtsanwalt R. trat dem Antrag des Angeklagten R. bei und auch Rechtsanwalt M. teilte mit, mit seiner Beiordnung einverstanden zu sein. Durch Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 05.10.2020 - Az.: 92b Gs 842/20 - wurde daher Rechtsanwalt R. als Pflichtverteidiger des Angeklagten R. entschlagen und ihm stattdessen Rechtsanwalt M. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Im Zuge der Terminsabsprachen zwischen Gericht und Verteidigern beantragte Rechtsanwalt R. mit Schriftsatz vom 15.01.2021 seine Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger gemäß § 144 Abs. 1 StPO. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte auch Rechtsanwalt M. Rechtsanwalt R. als zweiten Pflichtverteidiger zu bestellen. Mit weiterem Schriftsatz vom 22.01.2021 führte Rechtsanwalt M. zur Begründung seines Antrages aus, dass die Sache umfangreich und schwierig sei und angesichts der vollzogenen Untersuchungshaft zudem ein erhöhtes Beschleunigungsinteresse bestehe. Ein zusätzlicher Pflichtverteidiger sei erforderlich, wenn bei einer Vielzahl von Hauptverhandlungstagen in Haftsachen eine bestimmte Sitzungsfrequenz einzuhalten sei, zu erwartende Terminkollisionen aber entgegenstehen. Mit Schriftsatz vom gleichen Tage begründete auch Rechtsanwalt R. seinen Antrag ergänzend mit den gleichlautenden Argumenten.
Die Staatsanwaltschaft Bremen nahm zu dem gestellten Antrag mit Verfügung vom 08.02.2021 Stellung und beantragte die Ablehnung des Antrags.
Die Vorsitzende der 9. Strafkammer des Landgerichts Brem...