Leitsatz (amtlich)
Ein Bieter, der im Vergabeverfahren Kenntnis von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften erlangt, kann sofort einen Antrag auf ein Nachprüfungsverfahren nach § 107 Abs. 2 GWB stellen, wenn die ihm angekündigte Erteilung des Zuschlags an einen anderen Bieter unmittelbar bevorsteht. Der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB wird dann dadurch genügt, dass unverzüglich nach Kenntnis vom Vergabeverstoß der Nachprüfungsantrag gestellt und in diesem Antrag der Verstoß gerügt wird. Eine gesonderte Rüge ggü. der Vergabestelle ist in solchen Fällen nicht erforderlich.
Normenkette
GWB § 107 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
2. Vergabekammer (Beschluss vom 31.05.2006; Aktenzeichen VK 2/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird die Entscheidung der 2. Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen vom 31.5.2006 - VK 2/06, aufgehoben.
Die Vergabekammer wird verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats über den Nachprüfungsantrag erneut zu entscheiden.
Der Vergabekammer wird auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB übertragen.
Die Hinzuziehung von Prozessbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren war notwendig.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 16.477,11 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdegegnerin schrieb Anfang 2006 im Rahmen der Baumaßnahme Klinikum ' Neubau eines medizinischen Versorgungszentrums, II. Bauabschnitt, Innentüren/WC-Trennwände im offenen Verfahren aus. In der Angebotsanforderung (EVM (B) A EG) war unter der Überschrift: "Vergabestelle" angegeben:
"Angebotsabgabe bei:
Gebäude- und TechnikManagement Bremen,
Gebäude Hutfilterstr., Verdingung 5. Etage
Hutfilterstr. 1-5, 28195 Bremen".
Nach Ziff. 1.
"ist beabsichtigt, die in beiliegender Leistungsbeschreibung bezeichneten Leistungen zu vergeben im Namen und für Rechnung Klinikum gGmbH Str. 1/D-28277 Bremen"
Ziff. 2. lautet:
"Auskünfte werden erteilt, nicht beigefügte Verdingungsunterlagen können eingesehen werden bei/beim: Klinikum gGmbH, Str. 1/D-28277 Bremen/Technischer Leiter Herr A.f"
Im Leistungsverzeichnis werden u.a. aufgeführt
- unter Pos. 1.07 ff.: Aluminiumzargen für Holz-Drehtüren in Trockenbauwänden - das Fabrikat Küffner hardline, Typ USBV/G48-5/42S oder gleichwertiges Produkt (es folgt eine genaue Spezifikation der Anforderungen)
- unter Pos. 2.00 ff. - Innentüren mit HPL-Beschichtung - Türblätter mit 0,8 mm HPL-Schichtpressstoffauflage (High Pressure Laminate) nach DIN EN 438 Fabrikat Westag-Getalit oder gleichwertig (es folgen weitere detaillierte Spezifikationen).
Nach Ziff. 5.3 ist Zuschlagskriterium "das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich Preis, Gewichtung 100 %."
Mit Schreiben vom 22.3.2006 teilte die Gebäude- und TechnikManagement Bremen (im Folgenden: GTM) den Bietern u.a. mit, dass für die Ausschreibung der angesetzte Submissionstermin vom 24.3.2006 auf den 5.4.2006, 11:15 Uhr verlegt worden sei.
An der Ausschreibung beteiligten sich 10 Bieter; das Angebot der Beschwerdeführerin lag mit EUR 329.542,14 an 6. Stelle. Der Erstplatzierte, die H. H. GmH aus H., hatte ein Angebot über EUR 301.159,76 abgegeben. Die Bieter an 4. und 5. Stelle wurden vom Vergabeverfahren ausgeschlossen.
Die Beschwerdegegnerin entschied, den Zuschlag auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis zu erteilen, und teilte dies mit Schreiben vom 26.4.2006 den Bietern mit verbunden mit dem Hinweis, dass sie beabsichtige, der H. GmbH den Zuschlag am 11.5.2006 zu erteilen.
Mit Schriftsatz vom 9.5.2006, per Fax eingegangen am 9.5.2006 um 8:59 Uhr, hat die Beschwerdeführerin bei der Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung gestellt und geltend gemacht, sie sei in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt worden, denn die ihrem Angebot vorangehenden Angebote hätten ausgeschlossen werden müssen. Diese Bieter böten zu den Pos. 1.07 ff. mit Fabrikaten des Herstellers AZ (Aluminiumzargen) sowie zu den Pos. 2.00 ff. (Zargen und Innentüren) Fabrikate von Herstellern an, die nicht mit den im Leistungsverzeichnis genannten Fabrikaten Küffner hardline (Pos. 1.07 ff.) bzw. Westag-Getalit (Pos. 2.00 ff.) gleichwertig seien. Der Beschwerdegegnerin ist der Schriftsatz von der Vergabekammer am 9.5.2006 um 13:15 Uhr zugestellt worden. Die Beschwerdeführerin will an demselben Tag um 9:31 Uhr per Fax eine entsprechende Rüge ggü. der GTM vorgebracht haben; unstreitig ist eine erneute Rüge ggü. der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 30.5.2006 erfolgt.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 31.5.2006, der Beschwerdeführerin zugestellt am 8.6.2006, den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin sei allerdings gem. §§ 107 Abs. 2 Satz 1, 97 Abs. 7 GWB antragsbefugt. Sie habe aber ihren Nachprüfungsanspruch verloren, denn sie sei ihrer Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht nachgekommen. Ihr angebliches Fax vom 9.5.2006 an die GTM sei nicht an den richtigen Adressaten erfolgt, denn diese sei weder ...