Leitsatz (amtlich)
1. Eine Vorabinformationspflicht gem. § 13 Satz 1 VgV besteht, wenn ein Beschaffungsvorgang zu einer Beteiligung mehrer Unternehmen und zu verschiedenen Angeboten sowie schließlich zu einer Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat (Anschluss an BGH, Beschl. v. 1.2.2005 - X ZB 27/04, BGHReport 2005, 930 = MDR 2005, 973).
2. Ein Marktteilnehmer ist danach aber nicht allein deshalb als "Bieter" vorab von einer geplanten Vergabe zu informieren, weil er vor Bestehen eines konkreten Beschaffungsbedarfs sein generelles Interesse an möglichen Aufträgen bekundet hat oder deshalb, weil der öffentliche Auftraggeber - in Kenntnis des bestehenden Marktangebots - vor einer Entscheidung für ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Angeboten gem. § 3a Nr. 2c VOL/A auch das Produkt jenes Marktteilnehmers auf seine Eignung überprüft hat.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1; GWB §§ 97, 102, 107 Abs. 3; VgV § 13 S. 1, § 6; VOL/A § 3a
Verfahrensgang
Vergabekammer Baden-Württemberg (Beschluss vom 19.09.2006; Aktenzeichen 1 VK 54/06) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 19.9.2006 - 1 VK 54/06 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Zuschlagserteilung zur Beschaffung neuer Software.
Die Beschwerdegegnerin ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie beschafft, entwickelt, pflegt und koordiniert Verfahren der automatisierten Datenverarbeitung für die Kommunen in Baden-Württemberg (mit Ausnahme des Landkreises L.). Sie betreut über ihre drei Rechenzentren sämtliche EDV-Lösungen der Kommunen, nicht nur im Bereich des Kfz-Zulassungswesens, sondern etwa auch im Bereich der kommunalen Finanzverwaltung, der Personalabrechnung und des Personalmanagements, des Einwohnerwesens, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der Schulverwaltung.
Nach erheblichen Systemausfällen mit der hauseigenen Kfz-Zulassungs-Software "LaiKra" im Frühjahr 2005 führte die Beschwerdegegnerin zur Beschaffung einer entsprechenden neuen Software für ihre Rechenzentren mit den angeschlossenen Kfz-Zulassungsstellen für 35 Land- und 8 Stadtkreise ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Aufforderung zur Teilnahme durch. Sie verhandelte dafür ausschließlich mit der Beigeladenen, einer Anstalt öffentlichen Rechts aus Bayern, die durch Verordnung des bayerischen Staatsministeriums des Innern gegründet wurde. Die Beschwerdegegnerin begründete diese Vorgehensweise in einem internen Aktenvermerk vom 30.5.2005 wie folgt:
2. Entscheidungsgrundlagen
2.1 Mit dem Vorstand der A. [Anm.: = die Beigeladene] wurden bereits seit einiger Zeit Verhandlungen über eine engere Kooperation in Zusammenhang mit der Entwicklung von neuer Software gesprochen und auch ein Letter of Intent sowie erste Vertragsentwürfe ausgetauscht ... Im Rahmen dieser Kooperation ist vorgesehen, gemeinsam ein neues Fahrzeugverfahren zu entwickeln. In dieses Verfahren sollte von den vorhandenen Plattformen (LaiKra oder OK. Vorfahrt [Anm.: die Software der Beigeladenen]) migriert werden. Die Migration von einem anderen Verfahren (als OK. Vorfahrt) zu einem zukünftig gemeinsam zu entwickelnden Verfahren wäre aus technischen Gründen erheblich erschwert.
2.2 Marktsituation:
Situation in Bundesrepublik Deutschland:
Hersteller |
Produkt |
Anzahl der Zulassungsbehörden |
Anzahl verwalteter Kfz |
% Kfz |
DZ |
LaiKra |
... |
... |
... |
Telecomputer |
AZULIT/ IKOL-Kfz |
110 |
12,7 Mio. ca. |
23,5 |
AKDB/KOMIT |
OK-Vorfahrt |
... |
... |
... |
Übrige (12 Hersteller) |
div. |
... |
... |
... |
|
|
zus.: |
54,1 Mio. |
|
Anzahl der Zulassungsbehörden: 450
Im Ergebnis:
Am Markt existieren derzeit 3 wesentliche Software-Produkte für Fahrzeugzulassung. Diese sind:
1. OK. Vorfahrt der A.
2. IKOL. Kfz der T. [Anm.: die Beschwerdeführerin]
3. LaiKra der D.
2.3 Ein wesentliches Leistungsmerkmal des Kraftfahrzeugverfahrens LaiKra ist die uneingeschränkte Rechenzentrums-Fähigkeit. Für das neue Produkt ist dieses ein wesentliches Leistungsmerkmal (k. o.-Kriterium).
IKOL. Kfz wird in keinem regionalen Rechenzentrum für eine große Anzahl von Kunden betrieben. IKOL. Kfz ist auf einen autonomen Einsatz beim Endkunden ausgelegt und wäre in einem regionalen Rechenzentrum nicht wirtschaftlich einsetzbar.
2.4 Eine schnelle Ersatzlösung zur Vermeidung erheblicher technischer Probleme (unkalkulierbare Ausfälle) ist nur mit OK. Vorfahrt gegeben.
3. Vergabeentscheidung
Neben dem Produkt LaiKra erfüllt nur OK. Vorfahrt die Bedingung der uneingeschränkten Rechenzentrums-Fähigkeit. Da das Produkt LaiKra kurzfristig abgelöst werden muss, bleibt nur OK. Vorfahrt auszuwählen.
Eine öffentliche Ausschreibung oder ein Teilnahmewettbewerb ergeben keinen Sinn.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Anla...