Leitsatz (amtlich)
1. Mangelhafte Beweiserhebung und mangelhafte Beweiswürdigung stellen jeweils einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar.
2. Ein Richter, der nach einem Richterwechsel an der vorangegangenen Beweiserhebung nicht teilgenommen hat, darf nicht solche Eindrücke verwerten, die nicht in das gerichtliche Protokoll aufgenommen worden sind. Kommt es auf solche Eindrücke an, ist die Beweiserhebung nach einem Richterwechsel daher zu wiederholen.
Normenkette
ZPO §§ 286, 355 Abs. 1, § 375 Abs. 1, § 538 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 18.09.2008; Aktenzeichen 6 O 406/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird die Sache unter Aufhebung des Urteils des LG Bremen - 6. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 18.9.2008 und des zugrunde liegenden Verfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG Bremen zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld mit der Behauptung, sie (Beklagte) habe ihn im Verlaufe einer Schlägerei, an der neben der Beklagten mehrere andere Personen beteiligt gewesen seien, verletzt. Die Beklagte bestreitet ihre Tatbeteiligung.
Wegen der streitgegenständlichen Körperverletzung ist die Beklagte durch das bisher nicht rechtskräftige Urteil des AG B. vom 15.9.2005 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Der Einzelrichter des LG hat sechs Zeugen zu dem Tathergang vernommen, davon eine Zeugin im Wege der Rechtshilfe durch das AG G. (§ 375 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Zu dem Termin mit Beweisaufnahme hatte das LG das persönliche Erscheinen der Beklagten nicht angeordnet; die Beklagte war dementsprechend in dem Verhandlungstermin des LG auch nicht anwesend.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch das LG kam es zu einem Richterwechsel in dem Einzelrichterdezernat. Der nunmehr zuständige Einzelrichter des LG hat die Klage im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) abgewiesen.
Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Der Berufungsvortrag des Klägers ergibt sich aus seiner Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 25.11.2008. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung des Klägers, hilfweise Zurückverweisung der Sache an das LG.
Wegen des Vortrags der Beklagten wird auf ihre Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 14.1.2009 (Bl. 178-180 d.A.) Bezug genommen.
II. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 517, 519, 520 ZPO) Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens an das LG Bremen zur weiteren Verhandlung zurückzuverweisen ist, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfahren leidet nämlich an einem wesentlichen Mangel (dazu unter 1.), und aufgrund dieses Mangels ist eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig (dazu unter 2.); die Beklagte hat die Zurückverweisung auch beantragt, § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (dazu unter 3.).
1. Der wesentliche Verfahrensmangel des LG i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt darin, dass es die Beweiserhebung und die Beweiswürdigung unzureichend vorgenommen hat. Anerkanntermaßen stellen sowohl die mangelhafte Beweiserhebung als auch die mangelhafte Beweiswürdigung einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar (s. hinsichtlich der mangelhaften Beweiserhebung z.B. OLG Zweibrücken OLGReport Zweibrücken 2000, 221; s. zur mangelhaften Beweiswürdigung z.B. BGH NJW-RR 1992, 1392/1393; zum Ganzen mit weiteren Nachweisen Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 538 Rz. 25, 28).
1.1. Der erste Mangel der Beweiserhebung des LG liegt darin, dass das als Rechtshilfegericht für das LG tätig gewesene AG G. bei der Vernehmung der Zeugin F. am 16.6.2008 unterlassen hat, nach Tatsachen zu fragen, die die Täterin näher zu beschreiben vermögen. Die Zeugin F. hat sich bei ihrer Aussage insoweit darauf beschränkt, es sei eine "junge Frau mit Hund" gewesen, die auf den Geschädigten eingeschlagen und "als er bereits am Boden gelegen hat, auch getreten hat". Diese Angaben zur Beschreibung der Täterin sind für sich genommen zu dürftig, um eine eventuelle Identifizierung der Beklagten als Täterin zu ermöglichen. Weitere Fragen zu dem Aussehen der "jungen Frau mit Hund" im Einzelnen sind von dem Rechtshilfegericht nicht gestellt worden, obwohl dies zur Identifizierung der Täterin geboten gewesen wäre. Darin liegt ein Mangel der Beweiserhebung.
1.2. Ein weiterer Mangel der Beweiserhebung liegt darin, dass das LG Bremen es bei der Vernehmung der Zeugin S. im Verhandlungstermin am 24.1.2008 unterlassen hat, danach zu fragen, ob die von der Zeugin beschriebene "aggressive Frau mit blondem Zopf" mit der Beklagten identisch ist. Auch insoweit war eine Beweiserhebung geboten.
1.3. Einen weiteren Verfahrensmangel stellt d...