Leitsatz (amtlich)
1. Die Warnung des (öffentlich-rechtlich) Verkehrssicherungspflichtigen vor von dem Straßenzustand ausgehenden Gefahren ersetzt grundsätzlich nicht deren unverzügliche Beseitigung, es sei denn, dem Pflichtigen ist die alsbaldige Beseitigung des gefährlichen Zustandes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich.
2. Eine (etwaige) Pflichtverletzung des Verkehrssicherungspflichtigen entfällt (§ 254 Abs. 1 BGB), wenn der geschädigte Radfahrer über eine trichterförmige Mulde auf einem Radweg stürzt und der Sturz durch einen unsachgemäßen Zustand des benutzten Fahrrads wesentlich mitverursacht worden ist, der Geschädigte den schlechten Zustand des Radweges, auf den überdies ein Warnschild hinwies, kannte und der Radfahrer vor dem Sturz auch sonst nicht ausreichend aufmerksam und vorsichtig gefahren ist.
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 06.02.2004; Aktenzeichen 1 O 1313/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des LG Bremen - 1. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 6.2.2004 wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Im Berufungsrechtszug beantragt die Beklagte die Abänderung des Grundurteils und die Abweisung der Klage. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung vom 25.3.2004 (Bl. 90-95 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Wegen des Vortrags der Klägerin nimmt der Senat auf den Schriftsatz der Klägerin vom 16.4.2004 (Bl. 106-110 d.A.) Bezug.
II. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 512, 519, 520 ZPO) Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte entgegen der vom LG vertretenen Ansicht auch nicht teilweise zu.
Insoweit lässt der Senat offen, ob die Beklagte die sie treffende öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 11, 9 BremLStr) dadurch verletzt hat, dass sie die Schäden am Radweg der Parkallee (trichterförmige Mulde mit einer Ausdehnung von etwa vier Steinreihen bei einer maximalen Vertiefung von etwa 5 cm, wobei im mittleren Radwegbereich zwischen zwei Pflastersteinen keine Füllung vorhanden war, so dass sich ein Absatz entsprechend der halben Steinhöhe gebildet hatte und am rechten Radwegrand ein Stein fehlte, vgl. schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. - S. 5 = Bl. 63 -) nicht vor dem Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin am 8.7.2002 beseitigte, sondern sich darauf beschränkte, etwa 200 Meter vor der Unfallstelle das Gefahrenzeichen Nr. 101 des § 40 Abs. 6 StVO mit dem Zusatzschild "Schäden im Rad- und Gehweg" anzubringen (Bl. 20).
Diesbezüglich merkt der Senat lediglich an, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die Warnung vor von dem Straßenzustand ausgehenden Gefahren grundsätzlich nicht deren unverzügliche Beseitigung durch den Verkehrssicherungspflichtigen ersetzt, es sei denn, dem Pflichtigen ist die alsbaldige Beseitigung des gefährlichen Zustandes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich (BGH VersR 1968, 1090 [1091]; Schwerdt in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. 2002, Kap. 13 Rz. 91, 95, m.w.N.; Hager in Staudinger, BGB, 13. Aufl. 1999, § 823 BGB Rz. E 118, m.w.N.).
Selbst wenn sich die Beklagte bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht auf die Anbringung des genannten Warnschilds beschränken durfte, sondern die erheblichen Schäden am Radweg im Bereich der Unfallstelle hätte beseitigen müssen, ist die Beklagte der Klägerin gleichwohl nicht schadensersatzpflichtig, weil der bei der Klägerin eingetretene Schaden so überwiegend von dieser selbst verursacht und verschuldet worden ist, dass eine etwaige schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten demgegenüber nicht nennenswert ins Gewicht fällt, die Ersatzpflicht der Beklagten vielmehr entfällt (Heinrichs in Palandt, BGB, 62. Aufl. 2003, § 254 Rz. 45 ff., 52, m.w.N.).
Dabei sind folgende Umstände zu berücksichtigen:
I. Wie der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. O. in seinem schriftlichen Gutachten vom 5.12.2003 (Bl. 59-66 d.A.) und bei seiner mündlichen Anhörung durch das LG im Verhandlungstermin vom 5.12.2003 (Bl. 56 f. d.A.) überzeugend ausgeführt hat, hätte sich das Vorderrad des Fahrrades der Klägerin beim Überfahren der Unfallstelle nicht aus der Gabel lösen können, wenn der sog. Schnellspanner am Vorderrad des Rades der Klägerin ordnungsgemäß festgezogen gewesen wäre (Bl. 56 f. d.A.); nach den Darlegungen des Sachverständigen ist es aufgrund der konstruktiven Gestaltung des am klägerischen Fahrrads montierten Schnellspanners im Falle einer ordnungsgemäßen Montage aus technischer Sicht ...