Leitsatz (amtlich)
1. Die an die Aufklärung des Patienten zu stellenden Anforderungen gelten in gesteigertem Maß bei der beabsichtigten Anwendung einer sog. „Außenseitermethode” (hier: spezielles Prostata-Laserverfahren in zwei Operationsschritten).
2. Von einem echten Entscheidungskonflikt ist auszugehen, wenn der Patient darlegt, dass er die klassische Methode der „transurethralen Resektion der Prostata” (TURP) bei ordnungsgemäßer Aufklärung in seine Überlegungen einbezogen hätte.
3. Führt der ohne ordnungsgemäße Aufklärung durchgeführte Eingriff zu wiederholten Harnverhalten, die mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte mit Nachoperationen zur Folge haben, und einer dauerhaften Stressharninkontinenz, ist ein Schmerzensgeld i.H.v. 18.000 Euro angemessen.
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen 2 O 571/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Bremen vom 3.4.2003 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.381,88 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 10.5.2001 zu zahlen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 18.000 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 10.5.2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf die vom Beklagten am 6.10.1999 und 20.10.1999 durchgeführten Operationen zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschl. der Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
A. Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatz-, Schmerzensgeld- und Feststellungsansprüche wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.
Der Kläger wurde 1999 wegen eines bestehenden Prostataadenoms von dem Urologen Dr. F. an den Beklagten überwiesen. Dieser wendet für die operative Entfernung des Gewebes ein spezielles von ihm entwickeltes Laserverfahren an, das sich sowohl von der Standardtherapie, der „transurethralen Resektion der Prostata” (TURP), als auch von anderen Laserverfahren unterscheidet. Sowohl bei dem Standardverfahren, als auch bei den anerkannten Laserverfahren wird die Operation in einem Eingriff durchgeführt wird. Die vom Beklagten angewandte Methode vollzieht sich dagegen in zwei zeitlich voneinander unabhängigen Operationsschritten. Bei der ersten Operation wird eine Laserung des Prostatagewebes von der Harnröhre aus mit einem speziellen Laseroperationsinstrument durchgeführt. Im Zug der zweiten Operation wird das inzwischen abgestorbene Prostatagewebe entspr. der klassischen Methode „abgehobelt” und ggf. nochmals nachgelasert.
Nach einer ersten Vorstellung des Klägers beim Beklagten am 24.6.1999 wurde am 4.10.1999 eine Untersuchung durchgeführt. Der Beklagte übergab an diesem Tag einen schriftlichen Aufklärungsbogen, in dem die klassische Methode und das vom Beklagten angewandte Verfahren in Grundzügen beschrieben werden. Dabei wird hervorgehoben, dem „kleinen Nachteil der zwei Narkosen ggü. sonst nur einer” stünden die Vorteile einer ambulanten Durchführbarkeit und die nur selten notwendigen Bluttransfusionen gegenüber. Zudem enthält der Aufklärungsbogen Hinweise auf die allgemeinen Komplikationsmöglichkeiten bei Prostataoperationen. Wegen seines Inhalts im Einzelnen wird auf den Aufklärungsbogen (Bl. 22 ff. d. Akte) verwiesen. Am Tag der Untersuchung wurde auch ein Termin für den ersten Operationsschritt für den 6.10.1999 vereinbart. Nachdem der Kläger an diesem Tag den Aufklärungsbogen unterzeichnet hatte, führte der Beklagte die Laseroperation (erster Teil seiner Methode) durch. Der Kläger verbrachte die Nacht in den Praxisräumen und wurde am Folgetag entlassen. Die zweite Teiloperation erfolgte am 20.10.1999, nachdem ein zunächst vorgesehener Termin wegen Erkrankung des Beklagten abgesagt werden musste.
In der Folgezeit traten Komplikationen beim Kläger ein. Am 27.11.1999 suchte er die Notfall-Ambulanz des Krankenhauses Seepark in Langen-Debstedt wegen eines vollständigen Harnverhalts auf. Nachdem ein Dauerkatheter gelegt worden war, befand sich der Kläger vom 30.11. bis 10.12.1999 in stationärer Behandlung in der Klinik für Urologie des Krankenhauses Seepark. Im Verlauf der am 1.12.1999 durchgeführten Operation wurden Nekrosen entfernt. Nach der Entlassung erfolgte am 12.12.1999 eine erneute notfallmäßige Vorstellung des Klägers im Krankenhaus Seepark, bei der wieder ein Katheter gelegt wurde. Es schloss sich eine stationäre Behandlung vom 14.12. bis zum 22.12...