Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobe Fahrlässigkeit bei unterbliebener Vergewisserung über ordnungsgemäße Betätigung eines Küchenherdes unmittelbar vor Verlassen des Hauses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versicherung ist berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen, wenn d. Versicherungsnehmer:in im guten Glauben, den Elektroherd ausgeschaltet zu haben, das Haus verlässt, tatsächlich aber beim Abschalten ein falsches Kochfeld bedient hat.
2. In einem solchen Fall liegt grobe Fahrlässigkeit vor, weil eine Vergewisserung, ob das richtige Kochfeld ausgeschaltet und auch kein anderes in Betrieb ist, unterblieben ist.
3. Eine solche Nachschaupflicht besteht jedenfalls dann, wenn der Küchenherd ohne Sicht auf die Bedienelemente und in dem Wissen, dass unmittelbar an die Beendigung des Bedienvorgangs das Haus verlassen wird, betätigt worden ist.
Normenkette
VVG § 81 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 358/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.11.2021 (6 O 358/21) aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klägerin begehrt Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in ihrem - selbstbewohnten - Wohnhaus.
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (auch bei Feuer), der die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) - Grundsicherung Standard zugrunde liegen. § 19 Ziff. 1 Absatz 3 lautet (Bl. 9 d.A.):
"Führt der Versicherungsnehmer den Schaden grob fahrlässig herbei, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen."
Am 1.2.2020 kam es zu einem Brand in der Küche des Wohnhauses der Klägerin. Ursächlich für diesen Brand war, dass die Klägerin - kurz bevor sie das Haus verließ - den Elektroherd nicht ausschaltete, sondern versehentlich den Drehknopf einer anderen Herdplatte betätigte und diese dadurch auf die höchste Stufe stellte.
Den verursachten Schaden hat die Beklagte zu 75% reguliert. Hinsichtlich der restlichen 8.962,48 EUR hat sie den Ausgleich im Hinblick auf eine ihrer Ansicht nach vorliegende grobe Fahrlässigkeit der Klägerin verweigert.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat der auf den Restbetrag gerichteten Klage stattgegeben und ausgeführt, die Klägerin habe den Brand zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig verursacht. Es sei fahrlässig gewesen, dass sich die Klägerin nach dem Betätigen des Reglers nicht noch einmal versicherte, den Herd auch tatsächlich ausgeschaltet zu haben. Andererseits liege hier kein "typischer so genannter Herdplattenfall" vor, in dem jemand nach Einleitung des Koch- oder Bratvorgangs das Koch- oder Bratgut bewusst oder unbewusst auf dem eingeschalteten Herd zurücklässt. Mit dem (vermeintlichen) Ausschalten der vorderen Herdplatte sei der - die strengen Sorgfaltsanforderungen auslösende - Kochvorgang für die Klägerin aus ihrer Sicht abgeschlossen gewesen. Unter diesen Umständen verletze das Verhalten der Klägerin die gebotene Sorgfaltspflicht nicht in ungewöhnlich hohem Maße und schlechthin unentschuldbarer Weise.
Mit der Berufung verweist die Beklagte auf die Bedeutung des Begriffs "grobe Fahrlässigkeit". Es reiche aus, dass der Versicherungsnehmer ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle und nicht beachte, was im konkreten Fall jedermann einleuchten müsse. Es werde ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls und die Vergrößerung des Schadens herbeizuführen. Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem versicherten Interesse müsse nicht in dem Verhalten zum Ausdruck kommen. Sie verweist darauf, dass sie die grobe Fahrlässigkeit nur mit 25% bewertet habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen
Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet, beim Ausstellen des Herdes unaufmerksam bzw. unkonzentriert gewesen zu sein und meint, es sei nicht erforderlich gewesen, zu überprüfen, ob der richtige Regler am Herd ausgeschaltet worden sei.
II. Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.
Die Berufung ist auch begründet.
Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag, weil sie den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. Aufgrund der Regelung in § 19 Ziff. 1 Absatz 3 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) - Grundsicherung Standard, die der Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG entspricht, war die Beklagte deshalb berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen.
Grob...