Leitsatz (amtlich)
1. Eine gemeinsame Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 (3. Möglichkeit) SGB VII erfordert eine Verbindung zwischen den Tätigkeiten des Schädigers und des Geschädigten in der konkreten Unfallsituation.
2. Der nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer, der neben seinem nach § 106 Abs. 3 (3. Möglichkeit) SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen lediglich nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner haftet, ist gegenüber dem Geschädigten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses von der Haftung für erlittene Personenschäden freigestellt (vgl. § 840 Abs. 2 BGB); ein im Innenverhältnis zwischen dem Verrichtungsgehilfen und dem Geschäftsherrn etwa bestehender arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch bleibt dabei außer Betracht.
Normenkette
BGB §§ 823, 831, 840 Abs. 1-2; SGB VII § 106 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 24.07.2006; Aktenzeichen 4 O 2637/05) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Bremen, 4. Zivilkammer, vom 24.7.2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Der Kläger begehrt immateriellen und materiellen Schadensersatz aus einem Unfall, den er am 29.9.2003 auf dem Betriebsgelände der Firma M. GmbH & Co. KG in der Kap-Horn-Straße in Bremen erlitten hat.
Der Kläger ist selbständiger Fuhrunternehmer. Der Beklagte zu 2) war als Gabelstaplerfahrer bei der Firma M. GmbH & Co. KG tätig. Über das Vermögen des Unternehmens wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Unfalls seit 10 Jahren ausschließlich mit dem ihm gehörenden Lkw Transporte für die Insolvenzschuldnerin gefahren. Er besaß für seinen Lkw auch eine Garage auf dem Betriebsgelände der Insolvenzschuldnerin, die selbst keine Lkw betrieb.
Am Vormittag des 29.9.2003 belud der Beklagte zu 2) mit einem Gabelstapler den Lkw des Klägers. Der Kläger und der Beklagte zu 2) hatten sich vorher abgesprochen, an welcher Stelle der Ladefläche welche Ladung mit welchem Gewicht platziert werden sollte. Der Kläger stand während des Beladevorgangs bei seinem Lkw, wobei der genaue Standort zwischen den Parteien streitig ist. Als der Beklagte zu 2) nach Beladen der vorderen Wagenhälfte den Kläger beim Rangieren anfuhr, stand der Kläger neben der vorderen Ladefläche auf der Fahrerseite des Lkw. Der Beklagte zu 2) fuhr mit dem Gabelstapler gegen das linke Bein des Klägers und verursachte hierdurch schwere Verletzungen, u.a. mehrere Knochenbrüche. Infolgedessen musste sich der Kläger in stationäre und ambulante Behandlung begeben und war vom 29.9.2003 bis 20.1.2004 nicht zur Erwerbstätigkeit fähig. Von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen wurde der Unfall mit Bescheid vom 13.4.2004 als Arbeitsunfall anerkannt und dem Kläger für den Zeitraum vom 21.1.2004 bis 30.9.2004 eine Rentenzahlung i.H.v. 20 % seines Einkommens zugebilligt.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe ihn, den Kläger, beim Rangieren angefahren, da er ihn wegen einer verschmutzten rückwärtigen Scheibe des Gabelstaplers nicht gesehen habe. Er, der Kläger, sei während des Vorfalls mit dem Hochklappen der vorderen Ladeklappe links beschäftigt gewesen und habe dementsprechend sein Gesicht dem Lkw zugewandt. Deswegen habe er den Beklagten zu 2) nicht kommen sehen. Durch den Unfall habe er, der Kläger, erhebliche Verletzungen an seinem linken Bein und auch große Schmerzen erlitten, was ein Schmerzensgeld von mindestens EUR 16.000 rechtfertige. Außerdem seien die Beklagten zum Ersatz des näher dargelegten materiellen Schadens verpflichtet. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass eine Haftungsprivilegierung der Beklagten nicht bestehe.
Die Beklagten haben den vom Kläger geschilderten Unfallhergang und die Schadenshöhe bestritten. Sie haben außerdem die Auffassung vertreten, dass für beide Beklagte die Haftungsprivilegien der §§ 104 ff. SGB VII greifen und die Insolvenzschuldnerin und somit der Beklagte zu 1) wegen des Vorliegens einer sog. gestörten Gesamtschuld nicht ersatzpflichtig seien. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden gem. § 254 BGB.
Mit Urteil vom 24.7.2006 hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 2) den Kläger zwar fahrlässig verletzt habe. Ein Schadensersatzanspruch scheide aber aus, weil der Beklagte zu 2) und der Kläger durch das gemeinsame Beladen des Lkw betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausgeübt hätten, was gem. §§ 106 Abs. 3, Alt. 3, 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zum Entfallen einer Ersatzpflicht des Beklagten zu 2) für den von ihm verursachten Schaden führe. ...