Leitsatz (amtlich)
Es fehlt an der erforderlichen Grundaufklärung, wenn der Patient weder auf eine alternativ mögliche Therapie noch auf die mit dem Eingriff spezifisch verbundenen Komplikationen, die seine Lebensführung gravierend beeinträchtigen können, hingewiesen wird.
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 09.04.1999; Aktenzeichen 3 O 243/96 a) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen - 3. Zivilkammer - vom 9. April 1999 abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Oktober 1995 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der Operation vom 17. Januar 1992 durch den Beklagten zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird im übrigen zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 7/12, der Beklagte 5/12.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 68.000,- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Beschwer der Klägerin beträgt 70.000,- DM, die Beschwer des Beklagten 50.000,- DM.
Tatbestand
Die jetzt 63 Jahre alte Klägerin fordert Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung des materiellen und immateriellen Schadens wegen einer vom Beklagten am 17. Januar 1992 vorgenommenen Operation.
Die Klägerin litt seit 1981/1982 an Rückenschmerzen. 1991 war sie bei dem Orthopäden Prof. Dr. ... in Behandlung. Am 5. Dezember 1991 suchte sie erstmals den Beklagten auf. Der Beklagte führte zur Abklärung mehrere Diagnosemaßnahmen durch, unter anderem vom 9. bis 11. Januar 1992 eine Myelographie. Der Beklagte stellte einen Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule (LWS) in Höhe der Lendenwirbelkörper (LWK) 4/5 sowie eine Spinalkanalstenose der LWS in Höhe der LWK 3/4 - 4/5 fest. Die Operation erfolgte am 17. Januar 1992.
Nach der Operation bestand bei der Klägerin ein sogenanntes inkomplettes Kaudasyndrom. Die Klägerin hatte Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen, sowie Sensibilitätsstörungen im Innenbereich der unteren Extremitäten, des Genital- und Gesäßbereichs. Die Klägerin klagte weiterhin über Rückenschmerzen. Im Februar 1992 war die Blasenstörung behoben. Die Mastdarmentleerungsstörung bildete sich in der Folgezeit ebenfalls zurück.
Wegen weiterhin bestehender Rückenbeschwerden ließ die Klägerin sich im Juli 1993 im Krankenhaus Stenum beraten. Wegen einer in Frage kommenden Versteifung der LWS suchte die Klägerin vom 8. bis zum 18. August 1993 die neurochirurgische und neurologische Klinik und Poliklinik des Klinikums Rudolf Virchow in Berlin auf. Am 25. Oktober 1993 erfolgte die Versteifungsoperation im Krankenhaus Stenum. Die Behandlung war im März 1994 abgeschlossen. Die Klägerin fühlte sich im oberen Wirbelsäulenbereich schmerzfrei.
Die Klägerin hat behauptet, da - unstreitig - neurologische Ausfälle bis dahin nicht aufgetreten seien, sei die Operation durch den Beklagten nicht indiziert gewesen. Der Beklagte habe die Operation fehlerhaft durchgeführt. Darauf weise schon die schwere postoperative Blutung hin. Die aufgetretenen Beschwerden sowie die nur nach der Versteifungsoperation kurzfristig zurückgegangenen heftigen Rückenschmerzen seien auf die dem Beklagten unterlaufenen Behandlungsfehler zurückzuführen. Die Operation habe die Instabilität der Wirbelsäule verursacht. Durch die schweren nachhaltigen Schmerzzustände sei sie vereinsamt und psychisch schwer belastet. Eine Versteifung der LWS sei schon damals die geeignete Maßnahme gewesen.
Der Beklagte habe sie nicht auf die Operationsrisiken hingewiesen. Nach seinen Angaben habe es sich um eine Routineoperation gehandelt. Wenn sie über die möglichen und bei ihr auch zum Teil eingetretenen Komplikationen aufgeklärt worden wäre, hätte sie weiteren ärztlichen Rat eingeholt.
Die Klägerin, die ein Schmerzensgeld für die ihr durch die Operation verursachten Beeinträchtigungen in Höhe von 110.000,- DM für gerechtfertigt hält, hat mit der am 8. März 1996 zugestellten Klage beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 20. Oktober 1995 zu zahlen,
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden - letztere, soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen - aus der Operation vom 17. Januar 1992 in der Paracelsus-Kurfürsten-Klinik Bremen zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der B...