Entscheidungsstichwort (Thema)
Volksverhetzung durch religiös motivierte Äußerungen gegen Homosexuelle und erforderliche Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf der Volksverhetzung. Strafrecht. Volksverhetzung. Urteilsgründe. Begründungsmangel. Menschenwürde. Religionsfreiheit. Meinungsäußerungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei religiös motivierten Äußerungen muss der Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, wenn durch diese Äußerungen die Menschenwürde anderer angegriffen wird, da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (Anschluss an BVerfGE 93, 266).
2. Die aktiven Teilnehmer der Christopher Street Day-Umzüge können als abgrenzbarer Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB Angriffsobjekt einer Volksverhetzung sein.
3. Bei Meinungsäußerungsdelikten müssen die Urteilsgründe, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung der Entscheidung des Tatgerichts zu ermöglichen, den festgestellten konkreten Wortlaut der vorgeworfenen Äußerung wiedergeben, da dieser den Ausgangspunkt für deren Auslegung darstellt. Dieses Erfordernis der Wiedergabe des konkreten Wortlauts gilt auch für Äußerungen im Kontext der vorgeworfenen Äußerung, wenn das Tatgericht diese Kontextpassagen für die Auslegung der vorgeworfenen Äußerung heranzieht oder wenn es nach dem vom Tatgericht wiedergegebenen Gehalt dieser Passagen nahegelegen hätte, auch diese Passagen hierzu heranzuziehen.
Normenkette
GG Art. 1, 4-5; StGB § 130 Abs. 1 Nrn. 1-2; StPO § 267 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 20.05.2022; Aktenzeichen 51 Ns 225 Js 26577/20 (10/21) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Bremen wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.05.2022 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Kammer des Landgerichts Bremen zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat dem Angeklagten in der Anklageschrift vom 24.06.2020 vorgeworfen, sich einer Volksverhetzung strafbar gemacht zu haben, indem er am 19.10.2019 als Pastor der ...-Gemeinde in ... in der ... ein sogenanntes Eheseminar vor etwa 30 Ehepaaren in seiner Gemeinde gehalten und die Audio-Datei des Eheseminars auf die Internetplattform A. online eingestellt habe, wobei er sich wie folgt über Gender und Homosexuelle geäußert habe:
"Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch."
"Ich komme nochmal später drauf, Homosexualität, dass das alles Degenerationsformen von Gesellschaft sind, die ihre Ursache darin haben, in der Gottlosigkeit."
"Diese Homo-Lobby, dieses teuflische, kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein. Das ist so sukzessive, die fressen immer ein Ding, immer mehr weg."
"Echt, überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher-Street-Day."
2. Mit Urteil vom 25.11.2020 ist der Angeklagte durch das Amtsgericht Bremen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 90,- EUR verurteilt worden. Auf die Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer 51 des Landgerichts Bremen mit Urteil vom 20.05.2022 das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 25.11.2020 aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
a. Dabei hat das Landgericht neben den Feststellungen zum Werdegang und zur beruflichen Stellung des Angeklagten folgende weiteren Feststellungen zur Person des Angeklagten und zur Tat getroffen:
"Der Angeklagte versteht sich als bibeltreuer Christ. Er sieht sich in seinem theologischen Handeln streng an die Bibel gebunden, die er als "Anleitung für ein gelungenes Leben" bezeichnet. Seine Haltung und die der ...-Gemeinde kann als sehr konservativ bezeichnet werden.
In der Vergangenheit hatten verschiedene inhaltliche Äußerungen des Angeklagten zu theologischen bzw. gesellschaftlichen Fragen in der Öffentlichkeit Empörung und Protest hervorgerufen.
Die ...-Gemeinde sah sich bereits vor dem im Herbst 2019 stattfindenden Eheseminar mehrfach Störungen und Anfeindungen ausgesetzt. So kam es im Jahr 2008 zu einem sog. Kiss-In, bei dem gleichgeschlechtliche Paare in den Gottesdienst kamen und dort u.a. "CSD statt ..." riefen. Ein Polizeieinsatz war notwendig, um die Störung des Gottesdienstes zu beenden. Auch kam es in der Folgezeit wiederholt zu Sachbeschädigungen auf dem Gelände der Kirchengemeinde oder an Fahrzeugen der Gemeindemitglieder. Mehrmals wurden Aufkleber mit einer Regenbogenfahne verwendet, um einen Schaukasten auf dem Gelände der Gemeinde zu bekleben und es kam zu Farbschmierereien u.a. mit dem Slogan "god is gay". Bei Demonstrationen vor der Kirche wurde Gemeindemitgliedern der Weg versperrt oder diese beispielsweise mit aufgeblasenen Kondomen beworfen.
Auf Bitten der Gemeindemitglieder eine Veranstaltung zur E...