Entscheidungsstichwort (Thema)
Kollision eines Linksabbiegers mit einem Grundstücksausfahrer
Leitsatz (amtlich)
1. Verlässt ein Fahrzeugführer eine Grundstücksausfahrt, um in die ggü. liegende Straße einzufahren, und kommt es bei der Überquerung des ersten Fahrstreifens der vor dem Grundstück quer verlaufenden zweispurigen Straße zu einem Zusammenstoß mit einem Fahrzeug, das nach links abbiegen will, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Grundstücksausfahrer seine Sorgfaltspflichten gem. § 10 StVO verletzt hat.
2. Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten des Grundstücksausfahrers ggü. dem fließenden Verkehr trifft ihn in einem solchen Fall grundsätzlich die volle Haftung.
Normenkette
StVO §§ 9-10
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 15.09.2009) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Bremen - 7. Zivilkammer, Einzelrichterin - vom 15.9.2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das OLG Bremen hatte die Haftung bei einer Kollision zwischen einem Grundstücksausfahrer und einem Linksabbieger zu klären. Die Klägerin fuhr aus einer Grundstücksausfahrt, um in die ggü. liegende Straße einzufahren. Bei der Überquerung des ersten Fahrstreifens der vor dem Grundstück quer verlaufenden zweispurigen Straße kam es zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Beklagten, die nach links abbiegen wollte. Das Gericht hat entschieden, dass der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der Kläger als Grundstücksausfahrer seine Sorgfaltspflichten gem. § 10 StVO verletzt hat und die volle Haftung trägt.
Entscheidungsgründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil des LG Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
2Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den erstinstanzlich gestellten Klagantrag weiter. Der Berufungsvortrag der Klägerin ergibt sich aus ihrer Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 11.12.2009 (Bl. 87 ff. d.A.).
Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und treten dem Berufungsvorbringen entgegen. Wegen des Vortrags der Beklagten wird auf das Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 19.1.2010 (Bl. 110 f. d.A.) Bezug genommen.
II. Die statthafte (§ 511 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO), aber unbegründet. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Angriffe der Klägerin haben keinen Erfolg.
1. Der Klägerin steht ggü. den Beklagten als Gesamtschuldnern kein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens gem. § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3 StVG, § 3 PflVersG, § 421 BGB zu.
a) Zutreffend hat das LG angenommen, dass der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin seine Pflicht aus § 10 StVO verletzt hat.
aa) Nach § 10 StVO hat derjenige, der aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin greift zugunsten der Beklagten der Anscheinsbeweis. Dieser gelangt zur Anwendung, wenn es im räumlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Einfahren auf die Fahrbahn zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt. Ein solcher Zusammenhang ist hier zu bejahen. Der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin wollte aus der Grundstücksausfahrt über die O.-Straße in den O.-Damm fahren. Es kam zum Zusammenstoß, als der Beklagte zu 2. ihm aus dem O.-Damm entgegenkam und aus seiner Sicht nach links in die O.-Straße abbiegen wollte. Das Fahrzeug der Klägerin hatte die Grundstücksausfahrt erst mit einem geringfügigen Abstand verlassen. Es befand sich - quer zur Fahrtrichtung - noch im Bereich der ersten Fahrspur und kann daher schon aufgrund seiner Position nicht dem fließenden Verkehr zugerechnet werden.
Für die Anwendung des § 10 StVO ist es unerheblich, dass der Beklagte zu 2. nach links abbiegen wollte, als es zu dem Unfall kam. Nach dem Schutzzweck dieser Vorschrift hat derjenige, der aus dem ruhenden Verkehr anfährt, auf ein Vorrecht des übrigen Verkehrs zu achten (Geigel/Zieres, Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kapitel 27 Rz. 310). Dazu gehört nicht nur der Querverkehr, sondern auch der entgegenkommende nach links abbiegende Verkehr. § 10 Satz 1 StVO stellt insoweit klar, dass an den Ein- und Ausfahrten nicht etwa die allgemeinen Vorfahrtsregeln gelten (Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 10 StVO Rz. 2). Ein verkehrsbedingtes Anhalten des Beklagten zu 2. an der Einmündung O.-Damm führt auch nicht dazu, dass er als Verkehrsteilnehmer aus dem fließenden Verkehr ausscheidet und damit das Vorrecht ggü. dem ausfahrenden Fahrzeug verliert (vgl. KG, VRS 100, 286; NZV 2008, 625; Burmann, a.a.O., § 10 StVO Rz. 13).
bb) Die Klägerin meint, es liege ein atypischer Geschehensablauf vor, weil der Beklagte zu 2. den Linksabbiegevorgang von ...