Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des aus einer Grundstücksausfahrt durch Lücke in Fahrzeugkolonne in Gegenrichtung Ausfahrenden

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsprechung zu den sog. Lückenfällen ist grundsätzlich nicht auf Fälle anzuwenden, in denen ein Kraftfahrer aus einer Grundstücksausfahrt unter Benutzung einer Lücke nach links in die Gegenrichtung zu gelangen versucht.

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 30.04.2009; Aktenzeichen 6 O 338/06)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.4.2009 verkündete Grundurteil des LG Stralsund wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: bis 16.000 EUR.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 31.7.2001 ihres Versicherten ... geltend. Dieser befuhr gegen 10.50 Uhr im Seebad Heringsdorf die Neuhofer Straße in Richtung Ahlbeck, wobei er eine auf dieser Straße in seiner Fahrtrichtung stehende Fahrzeugkolonne überholte. Der Beklagte zu 1) wollte mit seinem Pkw Golf, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, gleichzeitig aus dem Grundstück Neuhofer Straße 19 heraus nach links auf die Neuhofer Straße in Richtung Bansin auffahren. Dabei nutzte er eine Lücke aus, die ihm ein in der Kolonne befindliches Fahrzeug gelassen hatte. Bei dem Einbiegevorgang kam es zu einer Kollision zwischen dem Pkw des Beklagten zu 1) und dem Motorrad des Zeugen ... Das Motorrad streifte die vordere rechte Seite des VW Golf, als dieser seine Fahrspur kreuzte.

Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem das LG der Klage dem Grunde nach stattgab. Der Einzelrichter erhob Beweis durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dr. stellte fest, dass sich der Pkw Golf bei dem Zusammenstoß in einer Vorwärtsbewegung befand und dass der Zeuge ... mit einer Geschwindigkeit von 32 km/h bis 54 km/h gefahren sei.

Gegen das Grundurteil des LG richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie erreichen wollen, dass die Haftung dem Grunde nach nur zu 75 % festgestellt wird.

Zur Begründung tragen die Beklagten vor, das LG habe zu Unrecht jegliche Mithaftung des versicherten ... zurücktreten lassen. Dieser habe trotz unklarer Verkehrslage überholt. Ein Lkw habe ihm durch Betätigung der Lichthupe zu verstehen gegeben, dass er warten würde. Diesen Umstand habe die Zeugin ... im Oktober angegeben. Dem versicherten ... habe klar sein müssen, dass er überhaupt nicht abschätzen konnte, wo ihm ein gefahrloses Beenden seines langen Überholmanövers möglich sein werde. Dies wäre ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht möglich gewesen. Der Zeuge ... hätte das Anhalten der Fahrzeugkolonne bei halbwegs konzentrierter Fahrweise wahrnehmen müssen und damit rechnen müssen, dass ein anderes Fahrzeug aus der Grundstücksausfahrt auf die Neuhofer Straße auffahren wollte. Deswegen habe eine unklare Verkehrslage bestanden. Auch die von dem Sachverständigen ermittelte Mindestgeschwindigkeit von 32 km/h sei in der konkreten Situation deutlich zu hoch gewesen. Der Versicherte sei zumindest zu 25 % in Ansehung der besonderen Verkehrssituation für die Entstehung des Unfalls verantwortlich. Die Betriebsgefahr des Motorrades könne keinesfalls völlig zurücktreten.

Die Beklagten beantragen, das Grundurteil des LG Stralsund vom 30.4.2009 aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass die Klage dem Grunde nach nur zu 75 % gerechtfertigt und im Übrigen abzuweisen ist.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Die Klage hat dem Grunde nach zu 100 % Erfolg. Dies hat das LG richtig durch - auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zulässigen (Zöller/Vollkommer, 27. Aufl., § 304 Rz. 3, 12), - Grundurteils gem. § 304 Abs. 1 ZPO festgestellt.

Hinsichtlich der Feststellungsklage handelt es sich um ein Teil-Endurteil (Zöller, a.a.O.).

Der Klägerin steht ein Anspruch aus übergeleitetem Recht des Geschädigten ... gem. §§ 116 SGB X, 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Pfl VersG a.F. zu.

Obwohl mehrere Fahrzeuge an dem Verkehrsunfall beteiligt waren, ist keine Quote gem. § 17 StVG zu Lasten des bei der Klägerin Versicherten ... zu bilden. Der Beklagte zu 1) verstieß eindeutig in schwerwiegender Weise gegen § 10 StVO. Danach muss derjenige, der aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen. So lag es hier, denn der Beklagte zu 1) wollte von einem Grundstück auf die öffentliche Straße nach links einfahren.

Es liegt kein sog. "Lückenfall" vor. Wer eine wartende Kfz-Schlange überholt, muss für den Querver...

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