Leitsatz (amtlich)
1. Das Vorfahrtsrecht entbindet den Verkehrsteilnehmer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, nicht von der Pflicht auf größere Lücken in der Kolonne zu achten. Er muss sich darauf einstellen, dass diese Lücken vom Querverkehr benutzt werden und darf sich einer solchen Lücke daher gemäß § 1 Abs. 2 StVO nur mit voller Aufmerksamkeit und unter Einhaltung einer Geschwindigkeit nähern, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht.
2. Bei der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsanteile ist einer Vorfahrtsverletzung durch den Querverkehr gegenüber dem Verstoß gegen das Gebot des § 1 Abs. 2 StVO allerdings grundsätzlich größeres Gewicht beizumessen.
Normenkette
StVG § 17; StVO § 8 Abs. 2, § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 12.07.2016; Aktenzeichen 7 O 34/14) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 12.7.2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des LG Wuppertal (Az.: 7 O 34/14) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen eines Unfalls in Anspruch, der sich am 21.10.2013 gegen 12:23 Uhr in Wuppertal ereignet hat.
Damals war der Kläger mit seinem BMW X3 auf der Parkstraße in Fahrtrichtung Osten unterwegs. An der mit Lichtzeichen versehenen Einmündung Erich-Hoepner-Ring wollte er nach links auf den Ring einbiegen.
Vor der Einmündung Erich-Hoepner-Ring verbreitert sich die Parkstraße auf zwei Spuren; nämlich eine Linksabbieger-Spur und eine Geradeausspur. Rechter Hand trifft nach einigen Metern auf die Geradeaus-Spur die Straße "Zur Wolfskuhle", die der Parkstraße untergeordnet ist.
Als der Kläger die Verbreiterung erreichte, hatte sich der Verkehr auf der Geradeaus-Spur aufgestaut. Der Kläger ordnete sich auf die Linksabbieger-Spur ein und passierte den LKW des Zeugen T. der sein Fahrzeug auf der Geradeaus-Spur vor der Einmündung "Zur Wolfskuhle" zum Stehen gebracht hatte. Als er weiter fuhr, kollidierte er mit dem von der Beklagten zu 1) geführten Opel Astra, der von der Straße "Zur Wolfskuhle" kommend nach links in die Parkstraße einbiegen wollte.
Der Kläger hat auf Ersatz der Reparaturkosten, einer Wertminderung, Sachverständigen- und Mietwagenkosten, einer Unkostenpauschale und vorgerichtlicher Kosten angetragen.
Die Beklagten haben behauptet, der Kläger sei bei Rot in den Einmündungsbereich eingefahren. Die Beklagte zu 1) hat widerklagend auf Ersatz ihres unfallbedingten Schadens angetragen.
Das LG hat über den Unfallhergang durch Zeugenvernehmung sowie durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens Beweis erhoben. Dann hat es der Klage zu 75 %, der Widerklage zu 25 % stattgegeben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der seine Teilverurteilung auf die Widerklage hin nicht angreift, aber auf Ersatz von 100 % seines Schadens besteht.
Entscheidungsgründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 21.10.2013 in XXX ereignet hat. Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die Darstellung des Tatbestandes in dem angefochtenen Urteil des LG Bezug genommen.
Das LG Wuppertal hat mit Urteil vom 12.07.2016 (Az.: 7 O 34/14) die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt,
1. an den Kläger 6.048,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2013 zu zahlen;
2. an die XXX Bank zur Schadennummer XXX Bestandsnummer XXX 675,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2013 zu zahlen;
3. an die XXX GmbH zum Ausgleich der Rechnung Nr. XXX vom 24.10.2013 einen Betrag von 497,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2013 zu zahlen;
4. an die XXX GmbH zum Ausgleich der Rechnung Nr. XXX einen Betrag von 751,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.05.2014 zu zahlen;
5. an den Kläger nicht anrechenbare außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 376,51 EUR zu zahlen.
Auf die Widerklage sind der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) als Gesamtschuldner verurteilt worden, an die Beklagte zu 1) einen Betrag von 511,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2014 zu zahlen.
Im Übrigen sind Klage und Widerklage abgewiesen worden.
Zur Begründung hat das LG ausgeführt:
Die Beklagten hafteten dem Kläger gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, §§ 249, 286 ff, 823 Abs. 1 BGB, § 115 VVG zu 75 %. Bei dem Unfall habe es sich für keine der beiden Parteien um ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG gehandelt.
Die Beklagte zu 1) treffe ein schuldhafter und unfallursächlicher Verkehrsverstoß. Sie habe beabsichtigt, von der untergeordneten Straße XXX in die bevorrechtigte XXXstraße einzubiegen. Kollidiere in einem solchen Fall der Linksabbieger mit einem auf der Vorfahrtsstraße befindlich...