Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung des Widerrufsrechts für einen Darlehensvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch Verbraucherrechte, zu denen das Widerrufsrecht nach §§ 355, 495 BGB zählt, unterliegen grundsätzlich dem Einwand der Verwirkung. Es gibt keinen Grund, dem Verbraucherwiderruf gegenüber anderen Gestaltungsrechten eine Sonderstellung einzuräumen und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des § 242 BGB von vornherein zu entziehen

2. Bei der Betrachtung des Zeitmoments kann ein Verhalten des Berechtigten, welches einem konkludenten Verzicht auf seine Rechtsausübung nahekommt, die für die Annahme der Verwirkung erforderliche Zeitdauer reduzieren.

3. Beim Umstandsmoment ist zu berücksichtigen, dass an dieses Tatbestandsmerkmal der Verwirkung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind, wenn das Zeitmoment aufgrund der langen Zeitspanne zwischen Abschluss des Darlehensvertrages und Erklärung des Widerrufs erheblich ins Gewicht fällt. Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 27.03.2015, Gesch.-Nr. 2 U 12/15 (= 7 O 266/14 LG Bremen)

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Urteil vom 27.07.2015; Aktenzeichen 2 O 1666/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Bremen, 2. Zivilkammer, vom 27.7.2015 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

Die Urteile des LG Bremen sowie des Senats sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Rückzahlung einer geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung nach Widerruf eines bereits abgewickelten Darlehensvertrages.

Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der X-Bank. Mit ihr schloss der Kläger im Januar 2008 einen Darlehensvertrag über insgesamt EUR 110.000,00 mit einer Laufzeit bis zum 31.01.2018, verzinslich mit nominal 4,78 %, ab.

Am 04.01.2008 übersendete die X-Bank dem Kläger "Darlehensvertrag" überschriebenes mehrseitiges Vertragsformular, welches auf der Seite 3 in einem Feld mit der Überschrift

"Annahme durch die X- AG:

Der Darlehensvertrag kommt durch Unterzeichnung durch die X- AG zustande"

von zwei Mitarbeitern der X-Bank unterzeichnet war. Auf Seite 5 befand sich zudem eine Widerrufsbelehrung. Am 12.01.2008 unterschrieb der Kläger das Vertragsformular in dem darüber stehenden Feld mit der Überschrift

"Verbindliches Angebot durch den Darlehensnehmer: Durch Unterzeichnung gibt der Darlehensnehmer ein verbindliches Angebot auf Abschluss des vorstehenden Darlehensvertrages ab. Der Darlehensnehmer ist vier Wochen ab Unterzeichnung an sein Vertragsangebot gebunden."

und übersendete es zurück an die Beklagte.

Am 07.01.2014 tilgte der Kläger das Darlehen vorzeitig. Die Beklagte machte daraufhin bezogen auf die drei Darlehensbeträge Vorfälligkeitsentschädigungen in Höhe von insgesamt EUR 13.078,90 geltend, die der Kläger vorbehaltslos zahlte.

Mit Schreiben vom 04.06.2014 widerrief der Kläger den Darlehensvertrag und verlangte die Rückabwicklung der Verträge und insbesondere die Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung, was die Beklagte ablehnte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Widerrufsfrist habe nicht zu laufen begonnen, da die Widerrufsbelehrung aus verschiedenen, im Einzelnen dargestellten Gründen fehlerhaft sei. Eine Verwirkung des Widerrufsrechts komme nicht in Betracht, da dies mit der gesetzgeberischen Wertung nicht in Einklang stehe und es zudem an dem Umstandsmoment fehle.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 13.078,90 zzgl. 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2014 sowie weitere EUR 1.029,35 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zzgl. 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz sei Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein vollständig beendeter Darlehensvertrag könne nicht mehr widerrufen werden, da dies vom Zweck des verbraucherschützenden Widerrufsrechts nicht mehr gedeckt sei. Die Widerrufsbelehrung sei wirksam und der Widerruf verfristet. Zumindest stehe dem Widerruf der Einwand der Verwirkung entgegen, da der Kläger unstreitig erst mehrere Monate nach vollständiger Erfüllung des Vertrages und mehr als sechs Jahre nach Erhalt der Widerrufsbelehrung den Vertrag widerrufen habe. Sie habe auf den Bestand des Vertrages vertraut.

Mit Urteil vom 27.07.2015 hat das LG die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückgewähr der Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von EUR 13.078,90 aus §§ 491, 495, 355 Abs. 1 a.F., 346 BGB zu.

Zum einen sei der Widerruf verfristet, da die Widerrufsbelehrung nach den damals geltenden Vorschriften rechtlich nicht zu beanstanden sei. Dies wird im Einzelnen ausgeführt. Außerdem stehe einem etwa bestehenden Widerrufsrecht der Einwand der Verwirkung entgegen. Der auf § 242 BGB gestützte Verwirkungseinwand gelte auch für den Verbraucherwiderruf und verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Das Zeitmoment sei gegeben, da seit dem Abschluss des Darlehensvertrags sechs Jahre und seit der vollständigen Ablösung fünf Monate ...

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