Leitsatz (amtlich)

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers sind maßgeblich das Ausmaß und die Dauer der Leiden, wobei nach der Wertung des Gesetzgebers weder für den Tod noch für die Verkürzung der Lebenserwartung eine Entschädigung vorgesehen ist.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 847 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 1 O 2649/00a)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bremen vom 28.8.2001 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.112,92 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 26.10.1996 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben.

Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Der Klägerin steht aus gem. §§ 1922, 398 BGB übergegangenem Recht kein den von der Beklagten nicht angegriffenen und damit rechtskräftig zuerkannten Betrag von 10.000 DM (= 5.112,92 Euro) übersteigender Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte zu. Eine Entschädigung in dieser Höhe erscheint angemessen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist primär an die schweren Gesundheitsschäden der Tochter Isabelle der Klägerin anzuknüpfen. Dagegen fällt der Grad des Verschuldens auf Seiten der Beklagten nicht entscheidend ins Gewicht (BGH v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1 [7] = MDR 1993, 123; OLG Schleswig v. 14.5.1998 – 7 U 87/96, VersR 1999, 632 = OLGReport Schleswig 1999, 46). Es kommt daher nicht maßgeblich darauf an, ob ein grober Behandlungsfehler Ursache der schweren Beeinträchtigungen des Kindes war, was der Senat entgegen der Ansicht des LG auch nicht für erwiesen hält.

Ein grober Behandlungsfehler liegt nicht bereits bei einer Verletzung des maßgeblichen ärztlichen Standards vor; er setzt vielmehr neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 120/00, NJW 2001, 2792 = BGHReport 2001, 687 = MDR 2001, 1115; v. 19.6.2001 – VI ZR 286/00, NJW 2001, 2794 = BGHReport 2001, 684 = MDR 2001, 1113; v. 3.7.2001 – VI ZR 481/99, NJW 2001, 2795 [2796] = BGHReport 2001, 683). Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss in vollem Umfang durch die vom Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können; es ist dem Tatrichter nicht gestattet, ohne entsprechende Darlegungen des Sachverständigen aus eigener Wertung einen groben Behandlungsfehler zu bejahen (BGH v. 3.7.2001 – VI ZR 481/99, NJW 2001, 2795 [2796] = BGHReport 2001, 683).

Diesen Grundsätzen wird das Urteil des LG nicht gerecht. Soweit es davon ausgeht, aus den gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. ergebe sich bereits ab 09:50 Uhr am 4.11.1993 wegen unterlassener engmaschiger CTG-Kontrolle ein grobes Fehlverhalten, beruht diese Annahme offensichtlich auf einem Missverständnis des LG. Der Sachverständige ist nämlich für die Zeit vor 11:19 Uhr bzw. 11:20 Uhr schon nicht eindeutig von einem Behandlungsfehler ausgegangen. Diesen hat er zwar für die Folgezeit bejaht, seine sachverständigen Äußerungen enthalten indes keinerlei hinreichende Anknüpfungspunkte für ein grobes Versagen des Klinikpersonals.

Es bestand für den Senat keine Veranlassung, die näheren Umstände des Geburtsmanagements, insbesondere im Hinblick auf die Schwere eines Behandlungsfehlers, weiter durch eine Beweisaufnahme aufzuklären, da es darauf – wie erörtert – für die Schmerzensgeldbemessung nicht entscheidend ankommt. Eine Genugtuungsfunktion, in deren Rahmen das Ausmaß des Verschuldens im Wesentlichen ins Gewicht fallen würde, spielt ohnehin bei Fahrlässigkeitstaten wie im vorliegenden Fall eine untergeordnete Rolle. Sie kann aber insbesondere bei Fällen der vorliegenden Art durch ein Schmerzensgeld gegenüber dem Geschädigten nicht erfüllt werden (BGH v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1 [7] = MDR 1993, 123; OLG Schleswig v. 14.5.1998 – 7 U 87/96, VersR 1999, 632 = OLGReport Schleswig 1999, 46).

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren daher maßgeblich zu berücksichtigen die Schwere der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Kindes, das dadurch bedingte Leiden, und dessen Dauer (BGH v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1 [7 ff.] = MDR 1993, 123), wobei zu beachten ist, dass der Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB nach der Wertung des Gesetzgebers weder für den Tod noch für die Verkürzung der Lebenserwartung eine Entschädigung vorsieht (BGH v. 12.5.1998 – VI ZR 182/97, VersR 1998, 1034 [1036] = MDR 1998, 1029 [1030]).

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. in seinem schriftlichen Gutachten vom 4.12.1996 ist das Kind in einem schweren Volumenmangelschock ge...

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