Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrjährige Überschreitung des Verfalldatums von suprapubischen Kathetern
Leitsatz (amtlich)
Legt der niedergelassene Urologe in kurzer Folge bei einem Patienten wiederholt suprapubische Katheter, deren Verwendbarkeit wegen mehrjähriger Überschreitung des Verfalldatums (3 bzw. 2 Jahre) unzulässig war, handelt es sich in der Gesamtschau um einen groben Behandlungsfehler.
Für diese Wertung ist nicht entscheidend, ob den Behandler der Vorwurf grober Fahrlässigkeit (mangelnde eigene Kontrolle des Verfalldatums) trifft, sondern die objektive medizinische Sicht.
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 09.05.2001; Aktenzeichen 11 O 329/98) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9.5.2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 329/98 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.898,20 Euro nebst 4 % Zinsen von 7.500 Euro seit dem 22.4.1998 und von 398,20 Euro seit dem 31.7.1998 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 40 % und der Beklagte zu 60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Alleinerben ihres am 12.9.1998 verstorbenen Ehemannes und früheren Klägers wegen von ihr behaupteter Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer urologischen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Erblasser wurde am 9.10.1997 u.a. zur Abklärung einer Harninkontinenz stationär aufgenommen. Nach Anlage eines suprapubischen Katheters wurde er am 18.10.1997 nach Hause entlassen. Der Beklagte wechselte am 28.10.1997 den Katheter, dessen normale Liegezeit bei einwandfreier Funktion drei bis vier Wochen beträgt, gegen einen Katheter aus, dessen Verfallsdauer seit rund drei Jahren überschritten war. Nachdem dieser Katheter am 17.11.1997 im Bereich der Bauchdecke abgebrochen war, brachte der Beklagte einen neuen Katheter ein, dessen Verfallsdatum im November 1995 abgelaufen war. Es stellte sich ein Harnwegsinfekt ein, der zu einer schweren Sepsis führte. Bei einer Blasenspülung wurden am 1.12.1997 Silikonreste ausgeschwemmt. Zur Wiederherstellung und Überwindung der Sepsis war eine mehrwöchige Krankenhausbehandlung erforderlich.
Die Klägerin rügt eine Vielzahl von Behandlungsfehlern und verlangt ein Schmerzensgeld von 25.000 DM sowie Aufwendungen für Heilbehandlung i.H.v. 778,83 DM.
Der Beklagte, dessen Versicherer vorprozessual einen Abfindungsbetrag von 5.000 DM angeboten hatte, bestreitet schadensursächliche Behandlungsfehler.
Das LG hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist in der Sache teilweise gerechtfertigt. Die Klägerin kann als Erbin des fehlbehandelten Erblassers Schmerzensgeld i.H.v. 7.500 Euro sowie Ersatz der Aufwendungen für notwendige Heilbehandlungen (398,20 Euro) verlangen. Die Ansprüche beruhen auf unerlaubter Handlung und, soweit es den materiellen Schaden anbelangt, auch auf schuldhafter Vertragsverletzung.
Das LG hat, gestützt auf das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R., eine Reihe von Behandlungsfehlern festgestellt, die jedenfalls in der Gesamtschau schon als grobes Versagen bewertet werden müssen, so dass es dem Beklagten oblegen hätte, nachzuweisen, dass die eingetretene Sepsis nicht auf den Fehlern beruhte (vgl. zur Beweislastverlagerung BGH v. 29.5.2001 - VI ZR 120/00, BGHReport 2001, 687 = MDR 2001, 1115 = NJW 2001, 2792 [2794]). Diesen Nachweis hat er nicht erbracht. Wegen der zutreffenden Feststellungen des LG, auf die zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen werden kann (§ 543 Abs. 1 ZPO), sollen die Fehler an dieser Stelle nur noch kurz dargestellt werden.
Schon der Katheterwechsel am 28.10.1997 war grundlos. Überflüssige, lediglich kostenverursachende Maßnahmen braucht ein Patient aber nicht hinzunehmen, zumal mit dem Wechsel im Streitfall zumindest Unannehmlichkeiten verbunden waren. Das Einbringen von Kathetern, deren Verfallsdaten um drei bzw. zwei Jahre überschritten waren, ist völlig unverständlich. Der Beklagte hat auch keinen auch nur ansatzweise nachvollziehbaren Grund dafür vorgebracht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen soll die begrenzte Verwendbarkeit des Katheters vor allem dessen Sterilität sichern, aber daneben auch einer gewissen Materialermüdung vorbeugen. Darüber darf sich der Arzt nicht einfach hinwegsetzen und gänzlich unnötigerweise gefahrträchtige Kausalverläufe in Gang setzen. Darüber hinaus hat es der Beklagte anlässlich der Katheterwechsel versäumt zu überprüfen, ob Katheterreste im Körper des Patienten verblieben sind. Tatsächlich war dies der Fall, wie der Sachverständige überzeugend festgestellt hat.
Das LG hat mit Recht aus...