Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsbestimmung, Firmenbestattung, Wohnsitz des Geschäftsführers
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verweisung des Insolvenzverfahrens durch das für den Sitz der Gesellschaft nach § 3 Abs. 1 S. 1 InsO zuständige Insolvenzgericht ist erst zulässig, wenn das Insolvenzgericht sämtliche vorgetragenen Umstände gewürdigt und von Amts wegen den Sachverhalt umfassend aufgeklärt hat.
2. Erfolgt die Verweisung ohne eine entsprechende Prüfung allein aufgrund der Angaben im Insolvenzantrag, entbehrt sie jeder gesetzlichen Grundlage und muss zumindest objektiv als willkürlich angesehen werden.
3. Die Mitnahme der Geschäftsunterlagen durch den (neu bestellten) Geschäftsführer begründet keine Zuständigkeit des für den Wohnsitz des Geschäftsführers zuständigen Insolvenzgerichts.
Normenkette
InsO §§ 3-4; ZPO § 281
Verfahrensgang
AG Potsdam (Aktenzeichen 35 IN 1319/05) |
AG Lüneburg (Aktenzeichen 47 IN 39/05) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das AG - Insolvenzgericht - L.
Gründe
I. Die Schuldnerin hat ihren Sitz in L. Sie ist dort unter HRB 2674 eingetragen. Sie wird derzeit von einem Geschäftsführer vertreten, dessen Anschrift A. P., G. lautet. Seit wann der jetzige Geschäftsführer bestellt ist, kann den Akten nicht entnommen werden. Die letzte Eintragung im HRB ist am 26.10.2005 erfolgt. Nach den Ausführungen des Geschäftsführers im Insolvenzantrag vom 3.11.2005 hat die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb eingestellt. Die Geschäftsunterlagen sollen sich zum Teil am Wohnsitz des Geschäftsführers befinden, der im Zuständigkeitsbereich des AG P. liegt.
Der jetzige Gesellschafter D. der Schuldnerin hat mit Schriftsatz vom 3.11.2005, eingegangen beim AG Lüneburg am 7.11.2005, beantragt, das Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen. Zugleich hat er den Antrag gestellt, das Verfahren an das für seinen Wohnsitz zuständige Insolvenzgericht in P. zu verweisen, weil eine Geschäftstätigkeit am Sitz der Gesellschaft in L. nicht mehr entfaltet werde. Die Geschäftsräume in L., ... seien aufgegeben worden. Die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin habe er teilweise an seinen Wohnsitz verbracht, teilweise seien die Unterlagen zu einer - nicht näher bezeichneten - Wirtschaftsberatungsgesellschaft nach B. verbracht worden, die prüfen solle, ob eine Fortführung von Teilbereichen der Schuldnerin möglich sei.
Das Insolvenzverfahren sei aufgrund der Verbringung der Geschäftsunterlagen in den B. Raum in P. abzuwickeln. Dort würden noch eine Reihe von Abwicklungstätigkeiten, wie die Sichtung und Bearbeitung der Post, die Prüfung von Gewährleistungsansprüchen usw., die Erstellung von Umsatzvoranmeldungen usw. entfaltet. Ob mit der Durchführung dieser Abwicklungstätigkeiten die "Wirtschaftsberatungsgesellschaft" in B. beauftragt worden ist, oder der Geschäftsführer D. selbst diese Tätigkeiten ausführen will, ist dem Antrag nicht eindeutig zu entnehmen, jedenfalls soll in G. die Erreichbarkeit der Schuldnerin im Rahmen des Insolvenzverfahrens jederzeit gesichert sein.
Mit Beschl. v. 8.11.2005 hat sich das AG Lüneburg - Insolvenzgericht - im Hinblick auf die Angaben des Antrag stellenden Geschäftsführers der Schuldnerin ohne weitere Ermittlungen für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das für dessen Wohnsitz zuständige AG P. verwiesen. Eine Begründung dieser Entscheidung ist dem Beschluss nicht zu entnehmen, abgesehen von einem nicht näher ausgeführten Verweis auf "Schmerbach, Frankfurter Kommentar, § 3, Rz. 9ff".
Mit Beschl. v. 14.12.2003 hat auch das AG Potsdam seine örtliche Zuständigkeit verneint und die Sache zur Gerichtsstandsbestimmung nach § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem OLG Celle vorgelegt. Zur Begründung hat das AG Potsdam ausgeführt, eine örtliche Zuständigkeit des AG Potsdam sei nicht gegeben. Der Sitz der Schuldnerin liege nicht im Zuständigkeitsbereich des Gerichts, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin existiere dort ebenfalls nicht. Das AG L. habe nicht ausgeführt, warum trotz der Einstellung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin eine Geschäftstätigkeit in P. bestehen solle, die eine Zuständigkeit nach § 3
Abs. 1 InsO begründen könne. Mit der Rechtsprechung zur Zuständigkeitserschleichung, die der Verweisungsentscheidung des AG Lüneburg entgegen stehe, habe sich das AG nicht auseinander gesetzt.
Für das Insolvenzverfahren sei deshalb das AG Lüneburg - Insolvenzgericht - zuständig. Der Verweisungsbeschluss des AG sei ausnahmsweise auch nicht bindend geworden. Er sei willkürlich.
II. Das OLG Celle ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem zunächst befassten AG - Insolvenzgericht - L. und dem AG - Insolvenzgericht - P. gem. § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO berufen.
Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das AG L. als auch das AG Ch. haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das AG P. hat die Akten zur Bestimmung des zustä...