Entscheidungsstichwort (Thema)
Lebensversicherungen zur Altersvorsorge müssen nicht zur Prozessfinanzierung eingesetzt werden
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist nicht die Verwertung eines jeden Lebensversi-cherungsvertrages unzumutbar. Die Zumutbarkeitsgrenze ist vielmehr danach zu ziehen, ob festgestellt oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, dass der fragliche Vermögenswert tatsächlich der Versorgung der Partei im Alter dienen wird.
Normenkette
ZPO §§ 114-115
Verfahrensgang
AG Winsen/Luhe (Beschluss vom 20.11.2006; Aktenzeichen 4 F 1000/05) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des AG - FamG - Winsen (Luhe) vom 20.11.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
Gründe
I. Das AG hat der Antragsgegnerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit i.S.d. §§ 114, 115 ZPO versagt und zur Begründung ausgeführt, die Partei verfüge in Gestalt einer Lebensversicherung mit einem aktuellen Rückkaufswert von 6.454,07 EUR über Vermögen, aus dem sie die Verfahrenskosten zu bestreiten habe.
II. Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg nach Maßgabe der Be-schlussformel. Der Antragsgegnerin kann die nachgesuchte Prozesskostenhilfe nicht unter Hinweis auf vorhandenes Vermögen mangels Bedürftigkeit versagt werden.
Gemäß §§ 115 Abs. 3 ZPO, 90 SGB XII findet die grundsätzliche Pflicht einer Partei, ihr Vermögen für die Prozesskosten einzusetzen und ggf. auch zu verwerten, ihre Grenze dort, wo ein solcher Einsatz unzumutbar wird, insb. dadurch eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. In entsprechender Anwendung von § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII hat der Senat dabei bislang in ständiger Rechtsprechung (zuletzt 12 WF 249/06; 12 WF 228/06, 12 WF 226/06) die Zumutbarkeitsgrenze in Bezug auf den Einsatz von Lebensversicherungen entsprechend der staatlichen Förderung gezogen, mithin ausschließlich soge-nannte "Riester-Renten" für unverwertbar erachtet.
Hieran hält er nicht mehr uneingeschränkt fest. In Zeiten des fortschreitenden Ab-baus von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und unsicherer Prognosen zur weiteren Entwicklung der gesetzlichen Alterssicherungssysteme ist zusätzliche private Vorsorge nicht nur vernünftig, sondern zur Wahrung eines auch halbwegs angemessenen Lebensstandards im Alter für weite Bevölkerungs-kreise vermutlich sogar unumgänglich. Auch aus diesem Grunde nehmen gerade in letzter Zeit (vgl. die Übersicht zum Meinungsstand bei Zöller/Philippi ZPO, 26. Aufl., § 115, Rz. 58c sowie OLG Stuttgart v. 17.7.2006 - 16 WF 159/06, OLGReport Stuttgart 2006, 723 = FamRZ 2006, 1850 und OLG Naumburg, Beschl. v. 19.5.2006, 14 WF 54/06, OLGReport Naumburg 2007, 43) diejenigen Stimmen in der Rechtsprechung zu, die es mit dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe für unvereinbar halten, vernünftige und politisch erheblich geförderte Vorsorgevorkehrungen im Nachhinein durch die Zumutung einer Verwertung derartiger Ver-mögenswerte im PKH-Verfahren gleichsam zu konterkarieren. Dieser Erwägung tritt der Senat bei. Es ist geradezu sinnwidrig und zumindest nicht systemkonform, derartige Vermögenswerte abzuschöpfen, nachdem die für ihren Erwerb notwen-digen Aufwendungen in Form laufender Beiträge in dem selben gesetzlichen Kon-text, nämlich bei der Bemessung des für die Prozesskosten einzusetzenden Ein-kommens, gem. §§ 115 Abs. 1 Nr. 1a ZPO i.V.m. § 82, Abs. 2 Nr. 3 SGB XII ausdrücklich geschont werden. Schließlich spricht für eine großzügigere Hand-habung auch die auf derselben Linie liegende aktuelle BGH-Rechtsprechung, wonach Aufwendungen für private zusätzliche Altersvorsorge im Rahmen des Unterhaltsrechts jedenfalls bis zu einer Kappungsgrenze bei 4 % des Gesamt-bruttoeinkommens dem Zugriff von Unterhaltsberechtigten entzogen sind (vgl. BGH v. 23.11.2005 - XII ZR 51/03, MDR 2006, 757 = BGHReport 2006, 502m. Anm. Luthin = FamRZ 2006, 387, 389; 2005, 1817, 1821 f.).
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die Verwertung eines jeden Lebensversi-cherungsvertrages unzumutbar ist. Die Zumutbarkeitsgrenze ist vielmehr danach zu ziehen, ob festgestellt oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, dass der fragliche Vermögenswert tatsächlich der Versorgung der Partei im Alter dienen wird. Maßgebliche Kriterien können insoweit insb. die Laufzeit des Vertrages in Relation zum Alter der bedürftigen Partei oder eine Ausgestaltung der vertraglichen Leistung als Rente sein.
Nach diesen Kriterien ist die Antragsgegnerin nicht gehalten, die Lebensversicherung bei der ... Versicherung zurückzukaufen und den Erlös für die Prozesskosten einzusetzen. Bereits die Laufzeit des Vertrages bis zum Jahr 2029 - die Antragsgegnerin wird dann 64 Jahre alt sein - spricht dafü...