Leitsatz (amtlich)

Der Führer eines Lastkraftfahrzeuges ist nicht verpflichtet, jeweils vor Fahrtantritt die gesamten Bremsscheiben durch gezielten Blick durch die Löcher in den Felgen auf Mängel zu überprüfen.

 

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

2. Die Sache wird auf den Senat übertragen.

3. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts B. zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässigen Fahrens eines nicht verkehrssicheren Lkws" zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt und dazu folgende Feststellungen getroffen:

"Am 11.02.2008 gegen 13.00 Uhr war der Betroffene als Fahrer mit einem Sattelzug mit Anhänger der Marke Daimler-Chrysler, amtl. Kennzeichen #######, in der Gemarkung W.-M. unterwegs. Das Fahrzeug wurde auf dem Autohof M. von Mitarbeitern des Bundesamtes für Güterverkehr, u.a. den Zeugen R., angehalten und kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass das vom Betroffenen geführte Fahrzeug erhebliche Mängel im Bereich der Bremsanlage aufwies. Die vordere rechte Bremsscheibe des Lkws hatte zahlreiche deutlich sichtbare Wärmerisse, die bis in den Bereich der Innenbelüftung liefen. Sie umfassten "ca. 80 % des Wirkungsbereichs der Bremsscheibe". Diese Beschädigungen wären vom Betroffenen ohne Weiteres erkennbar gewesen, hätte er die Bremsanlage vor Fahrtbeginn in Augenschein genommen. Die Beschädigungen waren durch Löcher in den Felgen des Fahrzeugs deutlich zu erkennen."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Er macht geltend, dass ihm ein Schuldvorwurf nicht zu machen sei, weil eine Pflicht zur Sichtprüfung der Bremsscheiben vor Fahrantritt nicht bestehe.

II.

Das Rechtsmittel hat zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zu neuer Entscheidung.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Frage, ob ein Lastzugfahrer verpflichtet ist, vor Fahrantritt die Bremsscheiben des Lastzugs durch die Löcher in den Felgen auf Risse zu kontrollieren, hat bislang - soweit ersichtlich - nur das OLG Hamm (Beschl. v. 26.2.2007, 4 Ss OWi 146/07, juris) entschieden.

Der Zulassungsantrag ist auch rechtzeitig gestellt und genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO. Zwar ist weder ein ausdrücklicher Beschwerdeantrag gestellt noch ausdrücklich die Verletzung sachlichen oder formellen Rechts gerügt worden. Dies ist jedoch unschädlich, weil sich aus dem Beschwerdevorbringen schlüssig ergibt, dass die Sachrüge erhoben und das Urteil insgesamt angefochten wird (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 79 Rdnrn. 27 a ff. m. w. N.).

2. Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat übertragen worden.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

a) Soweit das Amtsgericht den Betroffenen wegen "fahrlässigen Fahrens eines nicht verkehrssicheren Lkws" schuldig gesprochen und hierzu als angewendete Vorschriften §§ 41, 69 a StVZO angegeben hat, ist dies insofern rechtfehlerhaft, als eine Zuwiderhandlung gegen § 41 StVZO nur dann vorliegt, wenn die Bremsleistung tatsächlich beeinträchtigt ist (vgl. BayObLG VRS 46, 313; OLG Düsseldorf VRS 56, 68; KG VRS 82, 149; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 41 StVZO Rdnr. 27). Dazu hat das Amtsgericht vorliegend nichts festgestellt.

Indes kommt bei Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs mit einer mangelhaften Bremsanlage, deren Leistung zwar aktuell noch nicht beeinträchtigt ist, die aber die für den Dauerbetrieb erforderliche Sicherheitsreserve nicht mehr aufweist, ein Verstoß gegen die Generalklausel des § 30 Abs. 1 Nr. 1 StVZO, und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 69 a Abs. 3 Nr. 1 StVZO, in Betracht (vgl. KG a.a.O.; Dauer a.a.O., § 30 Rdnr. 2). Ob die Bremsanlage des vom Betroffenen geführten Lastzugs hier einen in diesem Sinne die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigenden Mangel aufwies, lässt sich dem Urteil nicht hinreichend entnehmen. Dort ist zwar ausgeführt, dass die vordere rechte Bremsscheibe des Lkws zahlreiche deutlich sichtbare Wärmerisse aufwies, die bis in den Bereich der Innenbelüftung liefen und ca. 80 % des Wirkungsbereichs der Bremsscheibe umfassten. Die genaue Anzahl und Verteilung der Risse ist jedoch nicht festgestellt und lässt sich auch nicht den Lichtbildern entnehmen, auf die Bezug genommen worden ist. Ebenso fehlt es an Feststellungen zum Zustand der anderen Bremsscheiben und der Bremsanlage im Übrigen sowie dazu, wie sich das Vorhandensein der festgestellten Risse auf die Funktionsfähigkeit der Bremsanlage aktuell und für eine gewisse Dauer überhaupt auswirkt. Die Einschätzung des Zeugen R., die Bremsscheib...

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