Überfahren einer vermeintlich defekten Ampel bei Dauerrot

Darf man als Radfahrer eine rote Ampel überqueren, wenn man Grund zur Annahme hat, dass diese defekt ist? Und kann einem bei solch einem Verhalten Vorsatz unterstellt werden?

Eine Radfahrerin wartete an einer Kreuzung vor einer roten Ampel mit Kontaktschleife mindestens fünf Minuten. Dann riss ihr der Geduldsfaden und sie überquerte die Kreuzung bei Rot, weil sie annahm, die Ampel sei defekt.

Das Amtsgericht sah in diesem Verhalten einen vorsätzlichen, qualifizierten Rotlichtverstoß und verhängte eine Geldbuße von 100 EUR. Die Lichtzeichenanlage sei nicht defekt gewesen. Außerdem hätte die Frau absteigen und die nur wenige Meter entfernte Fußgängerampel benutzen können.

Oberlandesgericht: Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum

Das Hanseatische Oberlandesgericht kam zu einer anderen Einschätzung. Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Rotlichtverstoßes sei aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts ausgeschlossen, da sich die Radfahrerin in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum befunden habe.

Rotlicht einer Lichtzeichenanlage ist ein Verwaltungsakt

Nach inzwischen einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum handele es sich bei dem von einer Lichtzeichenanlage gezeigten Rotlicht um einen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, der den betroffenen Verkehrsteilnehmern gebietet, vor der Kreuzung zu halten (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S.7 StVO).

Bei technischer Störung einer Ampel ist der Verwaltungsakt nichtig

Zeige eine Wechsellichtzeichenanlage allerdings aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft Rot, so ist der darin liegende Verwaltungsakt nichtig i.S.d. § 44 VwVfG. Der betroffene Verkehrsteilnehmer darf in so einem Fall trotz Rotlichts in den Kreuzungsbereich einfahren, allerdings unter Wahrung höchster Sorgfaltsanforderungen. Entsprechendes gelte auch, wenn eine Kontaktschleife aus technischen Gründen von bestimmten Verkehrsteilnehmern – z. B. von Radfahrern – nicht ausgelöst werden könne.

Überqueren der Ampel bei Rot könnte fahrlässiger Rotlichtverstoß gewesen sein

Das Oberlandesgericht (OLG) hob das Urteil des Amtsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht. Eine Verurteilung wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes sah das OLG allerdings als möglich an. Ein solcher komme in Betracht, wenn die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die Kontaktschleife nicht defekt war und ein Radfahrer diese hätte auslösen können. Voraussetzung hierfür wäre dann allerdings, dass die dann irrtümliche Annahme der Radfahrerin, die Ampel zeige defektbedingt „Dauerrot“, ihrerseits auf Fahrlässigkeit beruhte.

Radfahrerin kann nicht auf die Nutzung der Fußgängerampel verwiesen werden

Die vom Amtsgericht vorgebrachte Möglichkeit, dass die Radfahrerin absteigen und die Fußgängerampel nutzen hätte können, teilte das OLG nicht. Radfahrer seien nicht als „qualifizierte“ Fußgänger anzusehen. Ihnen könne nicht unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben auferlegt werden, vom Fahrrad abzusteigen und als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.

(OLG Hamburg, Beschluss v. 11.09.2023, 5 Orbs 25/23)


Weitere Beiträge zum Verkehrsrecht:

Motorrad auf Elektro-Parkplatz geparkt – zu Recht abgeschleppt?

Unfall in zweispurigem Baustellenbereich – wer haftet?

Radfahrer von herunterfallender Baumkrone verletzt – haftet die Kommune?



Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht, Urteil