Leitsatz (amtlich)
Setzt sich ein Gericht bei der Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 ZPO inhaltlich nicht mit einer - möglichen - eigenen Zuständigkeit auseinander, begründet dies grundsätzlich die Annahme objektiver Willkür und nimmt dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung. Eine Ausnahme kann dann gegeben sein, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgt und nicht vom Gericht angestoßen wurde.
Normenkette
ZPO § 281
Verfahrensgang
AG Syke (Aktenzeichen 24 C 1170/10) |
AG Bremen (Aktenzeichen 1 C 6/11) |
Tenor
Das AG Bremen ist zuständig.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem beendeten Postagenturvertrag.
Die Klägerin hat mit der Beklagten unter dem 3./7.4.2008 einen sog. Partnervertrag geschlossen. Als Adresse der Beklagten ist die V. L. straße ... in ... S. angegeben. S. liegt im Zuständigkeitsbereich des AG Syke. Die Klägerin beantragte einen Mahnbescheid, der am 13.7.2009 erlassen und der Beklagten am 15.7.2009 durch Niederlegung unter der Adresse S. F ... in ... S. zugestellt wurde. Als Prozessgericht war das AG Syke angegeben. Die Beklagte erhob Widerspruch und gab als Adresse die C. Straße ... in ... B. an. Der am 5.8.2009 eingegangene Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids konnte wegen des bereits erhobenen Gesamtwiderspruchs nicht erlassen werden. Am 14.10.2010 ging die Anspruchsbegründung der Klägerin ein. Mit der Anspruchsbegründung wurde zugleich die Abgabe des Rechtsstreits an das für den Wohnsitz der Beklagten in B. (C. Str ...) zuständige AG Bremen beantragt. Hierzu wurde die Beklagte mit der Verfügung des AG Syke vom 26.10.2010 angehört. Die Zustellung der Verfügung konnte unter der Adresse N. Straße ... in ... B. erfolgen. Die Beklagte erhob unter dem 15.12.2010 ein "Recht des Widerspruchs" und gab keine Stellungnahme zur beantragten Abgabe des Verfahrens ab.
Das AG Syke hat sich mit Beschluss vom 20.12.2010 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige AG Bremen verwiesen. Das AG Bremen hat sich seinerseits mit Beschluss vom 15.4.2011 ohne Anhörung der Parteien für örtlich unzuständig erklärt und die Sache unter Ablehnung der Übernahme an das AG Syke zurückverwiesen. Zur Begründung hat das AG Bremen ausgeführt, die Klägerin habe ihr Wahlrecht zur Gerichtsstandswahl im Mahnbescheidsantrag ausgeübt und könne nun nicht mehr wählen, im allgemeinen Gerichtsstand zu klagen. Im Übrigen habe das AG Syke den Gerichtsstand des Erfüllungsortes verkannt. Das AG Syke hat das Verfahren dem AG Bremen unter Hinweis auf eine nicht im Gesetz vorgesehene "Rückgabe" des Verfahrens übersandt. Das AG Bremen hat sodann die Übernahme der Sache abgelehnt und den Rechtsstreit dem OLG Celle mit Beschluss vom 22.7.2011 vorgelegt.
II.1. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über die Bestimmung der Zuständigkeit berufen. Das AG Bremen und das AG Syke haben sich jeweils rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das AG Syke als das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört zum Bezirk des OLG Celle.
2. Der Senat hat das AG Bremen als das zuständige Gericht bestimmt. Die mit Beschluss des AG Syke vom 20.12.2010 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an das AG Bremen erweist sich im Ergebnis jedenfalls nicht als objektiv willkürlich.
Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27.5.2008, X ARZ 45/08 m.w.N. - aus juris). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z.B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273; NJW 2002, 3634). Allerdings ist ein Verweisungsbeschluss auch bei gänzlichem Fehlen einer Begründung noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH NJW 2003, 3201, 3203; s. a. BGH NJW 2002, 3634, 3635 f.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.7.2010 - 1 AR 25/10 - aus juris).
Zwar hat sich das AG Syke fehlerhaft nicht mit der aus § 29 ZPO folgenden eigenen Zuständigkeit auseinandergesetzt. Der Partnervertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde geschlossen, als die Beklagte ihren Sitz in S. und damit im Bezirk de...