Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an das Merkmal "Gewalt" im Sinne von § 240 StGB im Fall des "Herunterbremsens" eines nachfolgenden Kraftfahrzeugs bei bestehender Ausweichmöglichkeit des Nachfolgenden.
Tenor
Das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts V. vom 25.06.2008 wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts V. zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Der Angeklagte war durch das Amtsgericht D. wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 70,- EUR verurteilt worden. Seine dagegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts befuhr der Angeklagte am Tattag die B 51 mit seinem Pkw. Unmittelbar vor seinem Fahrzeug fuhr die Zeugin Dr. Z. mit ihrem Pkw in dieselbe Fahrrichtung. Vor beiden Fahrzeugen befand sich eine langsam fahrende Zugmaschine, die zunächst von keinem der beiden Fahrzeugführer überholt werden konnte. Sobald sich eine Gelegenheit zum Überholen bot, zog der Angeklagte sein Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn, um sowohl an der Zugmaschine als auch dem Fahrzeug der Zeugin vorbei fahren zu können. Als er das Fahrzeug der Zeugin beinahe erreicht hatte, scherte diese ebenfalls auf die Gegenfahrbahn aus, um das landwirtschaftliche Fahrzeug ihrerseits zu überholen. Der Angeklagte schloss dicht auf das Fahrzeug der Zeugin auf und musste seinen Pkw abbremsen. Da beide Beteiligten die Situation als bedrohlich empfanden, brachen sie ihre jeweiligen Überholmanöver ab. Nachdem die Zugmaschine von der B 51 abgebogen war, beschleunigte der Angeklagte seinen Pkw, scherte auf die Gegenfahrbahn aus, fuhr auf die Höhe des Fahrzeugs der Zeugin und nahm mit dieser Blickkontakt auf. Da die Zeugin die Situation als gefährlich einschätzte, signalisierte sie dem Angeklagten mit einer Handbewegung, er solle an ihrem Pkw vorbeifahren. Der Angeklagte fasste diese Geste als sog. Stinkefinger auf, gestikulierte seinerseits, fuhr aber an dem Fahrzeug der Zeugin vorbei und scherte vor diesem wieder auf die rechte Fahrspur ein. Kurze Zeit später verlangsamte der Angeklagte die gefahrene Geschwindigkeit durch Wegnahme von Gas. Schließlich brachte er sein Fahrzeug durch eine sog. Stotterbremse zum Stillstand.
Durch das Fahrmanöver des Angeklagten wurde die Zeugin zum Abbremsen gezwungen und brachte ihr Fahrzeug schließlich etwa 2-3 Pkw-Längen "vor" - gemeint ist offenbar "hinter" - dem Fahrzeug des Angeklagten zum Stillstand. Dieser begab sich zu dem Pkw der Zeugin, riss die Fahrertür auf und drohte der Zeugin mit einer Strafanzeige. Anschließend fuhr er davon.
Nach den Feststellungen der Kammer gab es für die Reduzierung der Geschwindigkeit seitens des Angeklagten und das anschließende Abbremsen keinen verkehrsbedingten Anlass. Die Zeugin empfand das Fahrverhalten als bedrohlich und war aus Angst vor dem verkehrswidrigen Verhalten nicht in der Lage, das Fahrzeug des Angeklagten zu überholen.
2. Die Kammer hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als Nötigung gewertet, weil der Angeklagte durch die Errichtung eines physischen Hindernisses auf die Entscheidungsfreiheit der Zeugin eingewirkt habe. Diese sei gezwungen gewesen, ihre Geschwindigkeit der des langsamer werdenden Pkw des Angeklagten anzupassen. Es sei ihr aus tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen, dem ihr aufgezwungenen Fahrverhalten durch Überholen zu entgehen.
II.
Die Revision hat auf die Sachrüge hin - zumindest vorläufigen - Erfolg.
1. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB nicht zu tragen. Es fehlt an ausreichenden Feststellungen, die die Anwendung der Tathandlung "Gewalt" durch den Angeklagten belegen.
Gewalt im Sinne von § 240 StGB liegt bei einer den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG entsprechenden Auslegung dann vor, wenn "der Täter durch körperliche Kraftentfaltung Zwang auf sein Opfer ausübt und dieser Zwang nicht nur psychisch wirkt, sondern körperlich empfunden wird" (BVerfGE 104, 92, 102 f.; BVerfG NJW 2007, 1669 f.). Diese Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 StGB können auch bei Vorgängen im Straßenverkehr gegeben sein (vgl. BVerfG NJW 2007, 1669 f.; BGH NJW 1995, 3131 ff.; BayObLGSt 2001, 88 ff.; Fischer, StGB, § 240 Rn. 15 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die Feststellung des Vorliegens nötigender Gewalt in dem vorgenannten Sinn stets nur im Einzelfall erfolgen (BVerfG NJW 2007, 1669, 1670); pauschale Wertungen, wann ein Verhalten im Straßenverkehr körperlichen Zwang auf einen anderen Verkehrsteilnehmer ausübt, ließen sich kaum treffen (BVerfG a.a.O.). Nach den für die Strafgerichte maßgeblichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts können für das Vorliegen von körperlich wirkender Gewalt im Zusammenhang mit Verkehrsvorgängen u.a. die Dauer und die Intensität der bedränge...