Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer Sorgerechtsübertragung bei manipulativem Verhalten und fehlender Mitwirkung an einer Begutachtung.
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer Sorgerechtsübertragung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB auf den anderen Elternteil im Falle der fehlenden Bindungstoleranz des bisher die Obhut ausübenden Elternteils und dessen manipulativen Verhaltens.
Die krankheits- und persönlichkeitsbedingt eingeschränkte Erziehungsfähigkeit eines Elternteils kann bei hinreichenden anderweitigen Anhaltspunkten selbst dann festgestellt werden, wenn dieser Elternteil die Mitwirkung an einer sachverständigen Exploration verweigert.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Uelzen (Aktenzeichen 3b F 1259/15) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Uelzen vom 7. April 2016 aufgehoben und die elterliche Sorge für die Kinder J. S.N., geboren am ..., und L. M. N., geboren am ..., unter Zurückweisung des Antrags der Kindesmutter auf den Kindesvater allein übertragen.
II. Die Gerichtskosten des Verfahrens beider Instanzen werden mit Ausnahme der Kosten des im Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen P., welche die Kindesmutter zu tragen hat, den Eltern jeweils zur Hälfte auferlegt. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf der Gebührenstufe bis 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Aus der Ehe der Beteiligten zu 1 und 2 sind die heute 12 Jahre alte J. und die 9 Jahre alte L. hervorgegangen. Die Kindesmutter hat noch einen Sohn aus einer anderen Beziehung, den am ... 1997 geborenen D. D.. Der Kontakt zwischen D. und seinem leiblichen Vater war über mehrere Jahre seit dessen 12. Lebensjahr abgebrochen.
Die Kindesmutter war während der Ehezeit zeitweise als selbstständige Fotografin tätig und betreute im Übrigen die Kinder. Der Kindesvater, der bei der Bahn angestellt war und nebenberuflich seit mehreren Jahren eine Internet-Kfz-Börse betrieb, reduzierte nach der Geburt der Tochter J. seine Stundenzahl bei der Bahn auf 70 %, um die Betreuung und Versorgung der Kinder unterstützen zu können. Ab dem Frühjahr 2007 bis Ende 2011 beanspruchte er zudem eine Elternzeit, sodass sich die Eltern gemeinsam um die Betreuung der Kinder kümmern konnten. Nebenbei betrieb der Kindesvater sein selbstständiges Gewerbe weiter. Wenige Monate nach Wiederaufnahme einer Vollzeittätigkeit bei der Bahn im Jahre 2012 reduzierte der Kindesvater diese Erwerbstätigkeit wieder auf 70 %. In dieser Zeit traten erhebliche Schwierigkeiten mit D. auf, der morgens nicht aus dem Bett kam und den Besuch der Schule verweigerte. Auch in der Ehe der Beteiligten gab es zunehmend Spannungen.
Nach einer gescheiterten Paartherapie zu Beginn des Jahres 2013 haben sich die Kindeseltern am 15. Oktober 2013 endgültig getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kindesvater aus dem in seinem Eigentum stehenden Haus in B. ausgezogen und nutzte zunächst seine Ferienwohnung an der Ostsee, bis er zu Beginn des Jahres 2014 nach U. zurückzog. Die gemeinsamen Kinder J. und L. verblieben ebenso wie ihr Halbbruder D. im Haushalt der Kindesmutter. Mit Beschluss vom 27. April 2016 wurde die Ehe der Beteiligten geschieden. Zum Jahreswechsel 2016/17 verzog die Kindesmutter mit den Mädchen zu ihrem neuen Partner in die Nähe von W., mit dem sie zwischenzeitlich verheiratet ist. Der Kindesvater hat ebenfalls eine neue Partnerin.
Bereits kurz nach der Trennung kam es zu Unstimmigkeiten unter den Eltern über diverse Angelegenheiten, etwa über die Höhe der vom Vater geleisteten Unterhaltszahlungen. Die Kindesmutter verknüpfte ihre finanziellen Forderungen mit Sanktionensandrohungen beim Umgang des Kindesvaters mit den Töchtern. So kündigte die Kindesmutter gegenüber dem Kindesvater am 20. Oktober 2013 über WhatsApp an, dass er "das nächste Kinder we [Wochenende] knicken" könne, wenn er nicht bis nächsten Mittwoch sämtliche Verdienstnachweise vorlege (Bl. 43 d. A.).
Die Tochter J. schrieb dem Vater am 24. Oktober 2013 über WhatsApp: "Hallo Papa Mama hat gesagt ich darf dich so lange nicht anrufen bist du das Geld über wisen hast Dan ruf mich morgen einfach um 18:00 Uhr an OK" (Bl. 69 Nr. 1 d. A.).
Am 30. Oktober 2013 schickte die Kindesmutter die Nachricht, "Keine Kohle = Kein Besuchsrecht" (Bl. 44 Nr. 1 d. A.), die sie später ergänzte, indem sie schrieb "Genau der Wortlaut einer Familienrichterin: er muss zahlen, und sie gewähren ihm ein Besuchsrecht. Zahlt er nicht, haben sie das Recht diesen zu versagen..." (Bl. 44 Nr. 2 d. A.). Nachdem es zu weiteren Diskussionen über die streitige Höhe des zu zahlenden Unterhalts kam, teilte die Kindesmutter am 4. November 2013 über WhatsApp mit: "...Schon scheiße ihnen sagen zu müssen das ihr Vater nichts für sie zahlt und sie ihm so unwichtig sind. Tja... ob sie dann noch mit so einem Kontakt haben wollen? Es wird bestimmt nicht leicht ihnen das zu erklären.....