Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung eines öffentlichen Auftrags i.S.d. § 99 GWB von einer Dienstleistungskonzession.
Soll die Vergabe von Leistungen der Altpapierentsorgung in der Weise erfolgen, dass der Auftragnehmer keine Geldleistung erhält sondern ihm die bei der Durchführung des Auftrags erfassten Altpapiermengen übereignet werden, so ist bei der Schätzung des Auftragswerts gem. § 3 Abs. 1 VgV maßgeblich, welchen Erlös der Auftragnehmer durch die Verwertung der Altpapiermengen voraussichtlich erzielen kann.
Für die Nichtigkeitsfolge des § 13 S. 6 VgV bei einem Verstoß gegen die Informationspflicht des § 13 VgV kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber ein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt hat.
Verfahrensgang
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg (Beschluss vom 12.11.2003; Aktenzeichen 203 VgK 27/2003) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Auftraggebers und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 12.11.2003 werden zurückgewiesen.
Der Auftraggeber und die Beigeladene haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschl.der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin, zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Auftraggeber ist öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger für die in seinem Gemeindegebiet anfallenden Abfälle. Er beauftragte mit der Abfallentsorgung eine Arbeitsgemeinschaft mehrerer Unternehmen. Die Antragstellerin führte in der Arbeitsgemeinschaft die Entsorgung von Altpapier aus. Der hierüber bestehende Vertrag zwischen dem Auftraggeber und der Arbeitsgemeinschaft ist zum 1.1.2004 beendet worden.
Im Sommer 2002 beschloss der Auftraggeber, das System der Altpapierentsorgung zum 1.1.2004 von Containern auf die Papiertonne umzustellen. Da die Erfassung und Verwertung von Altpapier für die Zeit ab dem 1.1.2005 zusammen mit dem Einsammeln und Befördern des Rest- und Bioabfalls ausgeschrieben werden sollte, entschied er, die Erfassung und Verwertung von Altpapier für das Jahr 2004 gesondert in Auftrag zu geben. Er forderte im Juni 2003 im Wege einer "freihändigen" Vergabe mehrere Unternehmen zur Abgabe eines entsprechenden Angebots auf.
In einem Vergabevermerk vom 2.7.2003 hielt der Auftraggeber fest, dass drei Angebote abgegeben worden seien, von denen das der Beigeladenen das Günstigste sei. Unter dem 22.7.2003 teilte er auch der Antragstellerin "Randbedingungen" für das erbetene Angebot mit. Darauf antwortete diese am 24.7.2003, dass sie die Anfrage als Markterkundung verstehe und ein unverbindliches Angebot übersende; falls der Auftraggeber ein verbindliches Angebot wünsche, werde gebeten, dies mitzuteilen. Sie, die Antragstellerin, sei allerdings der Auffassung, dass verbindliche Angebote nur im Wege einer europaweiten Ausschreibung eingeholt werden könnten.
Mit Schreiben vom 1.8.2003 benachrichtigte der Auftraggeber die Antragstellerin, dass sie bei der Auftragsvergabe nicht berücksichtigt werden könne.
Am selben Tage erteilte er der Beigeladenen den Auftrag. In dem Vertrag mit der Beigeladenen heißt es u.a.:
"§ 1 Vertragsgegenstand
Der Auftraggeber überträgt dem Auftragnehmer gem. § 16 Abs. 1 (KrW-/AbfG) als beauftragtem Dritten für das Gebiet des Landkreises C. die separate Einsammlung, Beförderung und Verwertung von Altpapier ... aus Haushaltungen und anderen Herkunftsbereichen im Rahmen der öffentlichen Abfallentsorgung für die Dauer von einem Jahr.
...
§ 6 Preise und Entgelte
Der Auftraggeber übereignet die im Rahmen dieses Vertrages erfassten Altpapiermengen dem Auftragnehmer. Für die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen wird der Komplettpreis ... von 0 Euro netto vergütet, einschl. aller in diesem Vertrag vereinbarten Leistungen ...."
Am 14.8.2003 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Einleitung eines Nachprüfungsantrags mit dem Ziel beantragt, dem Auftraggeber zu untersagen, einem Dritten den Auftrag für die Entsorgung von Altpapier für die Zeit ab dem 1.1.2004 zu erteilen, und den Auftraggeber zu verpflichten, den Auftrag im Rahmen eines Europaweiten Ausschreibungsverfahrens zu vergeben. Sie hat geltend gemacht, dass der für eine europaweite Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000 Euro überschritten sei.
Der Auftraggeber hat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, der Nachprüfungsantrag sei schon deshalb unzulässig, weil es sich bei dem mit der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrag um eine Dienstleistungskonzession handele, auf die die Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe nicht anwendbar seien. Die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags ergebe sich auch daraus, dass das Vergabeverfahren bereits vor dem Nachprüfungsantrag durch Erteilung des Zuschlags beendet worden sei. Der Zuschlag sei wirksam, obwohl der Zuschlag vor Ablauf der 14-Tages-Frist des § 13 VgV erteilt worden sei. § 13 S. 6 VgV greife nicht ein. Denn der Auftragswert liege, wenn man den zu erwartenden Erlös aus der Papierverwert...