Leitsatz (amtlich)

Verweist das AG ein Verfahren, in dem der Beklagte für den Fall der Klagabweisung hilfsweise Widerklage in Höhe eines Betrags von über 5.000 EUR erhebt, auf den Antrag einer der Parteien mit begründetem Beschluss an das örtlich zuständige LG, ohne zuvor über die Klage entschieden zu haben, ist dieser Verweisungsbeschluss jedenfalls nicht objektiv willkürlich und für das LG bindend, zumal wenn die andere Partei ihr Einverständnis mit der Verweisung erklärt hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 281, 506

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 4 O 189/09)

AG Syke (Aktenzeichen 9 C 1238/08)

 

Tenor

Das LG Verden ist zuständig.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Klage über einen Anspruch i.H.v. 1.454,81 EUR vor dem AG Syke erhoben. Die Beklagte hat zunächst hilfsweise die Aufrechnung mit einer Forderung i.H.v. 7.327,32 EUR erklärt und im weiteren Verlauf des Verfahrens für den Fall der Klagabweisung und des Nichtverbrauchs der hilfsweisen Aufrechnung mit Schriftsatz vom 3.3.2009 eine Hilfswiderklage über den Betrag von 7.327,32 EUR erhoben. Dieser Schriftsatz ist der Klägerin zugestellt worden. Die Klägerin hat sodann für den Fall, dass das AG die Widerklage mit dem unter eine Bedingung gestellten Antrag für zulässig erachten sollte, den Antrag gestellt, den Rechtsstreit an das zuständige LG Verden abzugeben. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit der Verweisung erteilt. Mit Beschluss vom 22.4.2009 hat das AG Syke sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit entsprechend § 506 Abs. 1 ZPO an das LG Verden verwiesen. Auf die Begründung des Verweisungsbeschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Das LG Verden hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 25.5.2009 eine Übernahem des Rechtsstreits abgelehnt, sich für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG zur Entscheidung über die Zuständigkeit von Amts wegen vorgelegt. Auf die Argumentation des LG wird ebenfalls zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

II.1. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über die Zuständigkeit berufen. Der Senat hat das LG Verden als zuständiges Gericht bestimmt.

2. Der Verweisungsbeschluss des AG Syke ist für das LG Verden bindend. Er ist jedenfalls nicht objektiv willkürlich.

Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27.5.2008 - X ARZ 45/08 m.w.N. - aus juris). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z.B. BGH NJW 2003, 3201).

Im vorliegenden Verfahren hat das AG Syke in der sich hier stellenden Frage, ob eine Verweisung nach § 506 Abs. 1 ZPO analog zulässig ist, wenn die den Streitwert des LG erreichende Widerklage nur hilfsweise erhoben wird, das Verfahren mit begründetem Beschluss an das LG Verden abgegeben. Dieses Problem wird in den Kommentaren - soweit ersichtlich auch in den Großkommentaren - nicht behandelt. Die Stichwortabfrage unter juris ergibt als einziges Ergebnis den Aufsatz von Dr. Toussaint in NJ 2006, 392 ff., den das AG Syke vor der Verweisung zu Rate gezogen hat. Ist aber der Verweisungsbeschluss begründet und lässt er nicht eine einhellige Rechtsprechung oder zwingende gesetzliche Vorgaben außer Acht, erscheint er nicht als objektiv willkürlich und ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Eine Verletzung des § 506 Abs. 1 ZPO als zwingende gesetzliche Vorgabe in einem Ausmaß, dass der Verweisung durch das AG Syke objektive Willkür anhaften würde, liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Zwar ist dem LG zuzugeben, dass die Erhebung der Hilfswiderklage zunächst nicht streitwerterhöhend und damit zuständigkeitsbegründend wirkt. Jedoch sprechen gute Gründe für die Auffassung des AG, in diesen Fällen dennoch den Rechtsstreit auf einen entsprechenden Antrag hin sofort zu verweisen. Denn das AG müsste - sofern es zu der Ansicht gelangt, dass die Klage abzuweisen wäre, die Erhebung der Hilfswiderklage wegen Eintritts der Bedingung also zum Tragen kommt - den Rechtsstreit möglicherweise nach einer umfassenden Beweisaufnahme ohnehin an das LG verweisen. Ein vom AG erlassenes Teilurteil dürfte unzulässig sein (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 301 Rz. 9a m.w.N.). Das LG müsste nun noch einmal die Erfolgsaussicht der Klage überprüfen; dies ist unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie und einer den Parteien nicht zuzumutenden Verfahrensverzögeru...

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