Leitsatz (amtlich)
Aus § 102 EnWG ergibt sich keine ausschließliche Zuständigkeit des LG, wenn nur Rechtsfolgen der Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen des Kunden eines Energieversorgungsunternehmens in Streit stehen.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 2 S. 4; EnWG § 102
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 10 O 13/10) |
AG Syke (Aktenzeichen 24 C 908/09) |
Tenor
Das AG Syke ist zuständig.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
Das AG Syke war gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als sachlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Denn der Verweisungsbeschluss des AG Syke vom 14.1.2010 ist für das LG Verden ausnahmsweise nicht bindend nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
Denn die Bindungswirkung entfällt, wenn dem Verweisungsbeschluss objektive Willkür zugrunde liegt. Dazu reicht es zwar nicht aus, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vielmehr nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, was beispielsweise auch der Fall ist, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlicht unverständig erscheint oder offensichtlich unhaltbar ist oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH NJW-RR 2002, 1498. BVerfGE 29, 45, 49).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn der Sache nach erachtet auch der Senat aus den Gründen des Beschlusses des LG Verden vom 24.2.2010 die sachliche Zuständigkeit des AG für gegeben. Die Voraussetzungen des § 102 EnWG sind demgegenüber nicht erfüllt. Denn diese Bestimmung weist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Sache den LG nur dann als ausschließlich zuständig zu, wenn es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten handelt, die sich 'aus diesem Gesetz' ergeben. Hierzu wäre erforderlich, dass sich entweder der Kläger zur Begründung der Klage auf entscheidungserhebliche Bestimmungen des Energiewirtschaftsgesetzes bezogen hätte oder der Sache nach die Entscheidung des Rechtsstreits wenigstens teilweise von einer Rechtsfrage abhinge, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu entscheiden ist (Britz/Hölscher, Energiewirtschaftsgesetz, München 2008, § 102 Rz. 13 m.w.N.). Beides ist nicht der Fall. Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 102 EnWG ist insb. nicht deshalb gegeben, weil Energiepreiserhöhungen der Klageforderung zugrunde liegen. Die Frage, ob die Preiserhöhung billig ist, lässt sich ohne Hinzunahme der Spezialvorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes schon nach der Bestimmung des § 315 BGB bemessen, wenn auch nicht verkannt wird, dass § 315 BGB teilweise kartellartiger Charakter beigemessen wird. Zumindest im vorliegenden Fall ist jedoch nicht erkennbar, dass das Energiewirtschaftsgesetz, das ohnehin seinem Zweck nach nur die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie (das 'ob' der Energieversorgung) sicherstellen will und nicht das 'wie' der Versorgung regelt, eine entscheidungserhebliche Rolle spielt. Es geht vielmehr vorliegend ausschließlich um allgemeine Fragen der Folgen der Nichterfüllung der Zahlungspflichten des Energiekunden. Es entspricht deshalb auch der einhelligen Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass sachlich zuständiges Gericht in Fällen wie dem vorliegenden das AG ist (vgl. die bereits im Beschluss des LG Verden zitierten Entscheidungen OLG München in OLGR 2009, 757. OLG Frankfurt IR 2008, 135. OLG Köln OLGReport Köln 2008, 535. KG Beschluss v. 9.10.2009, 2 AR 48/09). Dass streitig sein mag, ob Preisanpassungsrechte aus § 5 GasGVV auch für Energielieferverträge mit Haushaltskunden gelten, genügt zur Begründung der Zuständigkeit gem. § 102 EnWG hiernach ebenso wenig, weil es hierauf nicht streiterheblich ankommt.
Gemessen an diesen Maßstäben ist die vom AG Syke am 14.1.2010 ausgesprochene Verweisung objektiv willkürlich, weil sie sich mit der vorerwähnten obergerichtlichen Rechtsprechung vor allem der OLG in Köln, München, Frankfurt und auch des KG im Verweisungsbeschluss argumentativ überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Dass außer dem AG Syke auch andere AG die Auffassung des AG Syke teilen, mag hierbei sein, genügt aber nicht dem Erfordernis einer eigenständigen Begründung der Verweisung, die im vorliegenden Fall fehlt. Diese vollständig fehlende Begründung nimmt der Verweisungsentscheidung des AG die Überprüfbarkeit. Deshalb kann auch nicht - wie es das KG in der Entscheidung vom 9.10.2009 (2 AR 48/09) getan hat - im vorliegenden Fall angenommen werden, dass die vom AG Syke angenommene fehlende eigene Sachzuständigkeit eine zumindest vertretbare Auffassung sei und deshalb der Verweisung objektive Willkür nicht zukomme.
Fundstellen
Haufe-Index 2317853 |
IR 2010, 132 |