Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendigkeit der Befristung von Maßnahmen nach dem GewSchG
Leitsatz (amtlich)
Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG sind grundsätzlich zu befristen. Nach 1 ½jähriger Verfahrensdauer kann aus länger zurückliegenden Verletzungshandlungen nicht ohne weiteres auf eine fortbestehende Wiederholungsgefahr geschlossen werden.
Normenkette
GewSchG § 1
Verfahrensgang
AG Peine (Beschluss vom 03.07.2008; Aktenzeichen 10 F 324/07) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Peine vom 3.7.2008 aufgehoben.
II. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten in beiden Instanzen werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Die Beteiligten sind verheiratet und leben seit dem 20.6.2007 getrennt, nachdem die Antragstellerin mit den gemeinsamen Kindern L., geboren am 18.10.1998, L., geboren am 30.4.2001, und S., geboren am 5.11.2005, aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war.
Mit Schriftsatz vom 27.6.2007 beantragte die Antragstellerin im Wege einstweiliger Anordnung sowie in der Hauptsache Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 GewSchG, weil der Antragsgegner sie bedroht und geschlagen habe, was von diesem jedoch bestritten wird. Das AG Braunschweig hat mit Beschl. v. 3.7.2007 - xxx - entsprechende Schutzmaßnahmen angeordnet, die das AG Peine nach Verweisung des Verfahrens mit Beschlüssen vom
4.10.2007 sowie vom 15.5.2008 aufrechterhielt. Im angefochtenen Beschluss im Hauptsacheverfahren vom 3.7.2008 hat das AG dem Antragsgegner aufgegeben, es zu unterlassen, die Antragstellerin sowie die gemeinsamen Kinder zu bedrohen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln (Zif. 1), mit der Antragstellerin in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen (Zif. 2) sowie sich der Antragstellerin und den gemeinsamen Kindern außerhalb der Wohnung auf eine Entfernung von 100 Metern zu nähern (Zif. 3).
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er geltend macht, dass er die Antragstellerin weder früher noch im Zusammenhang mit der Scheidung verletzt oder bedroht habe.
2. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn eine andere Person dieser vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit widerrechtlich verletzt. Die möglichen Maßnahmen sind in § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 - 5 GewSchG beispielhaft aufgezählt. Aufgrund des präventiven Charakters von Gewaltschutzmaßnahmen wird die Wiederholungsgefahr für Rechtsgutsverletzungen vermutet (vgl. FAFamR/Weinreich, 6. Aufl., 8. Kap. Rz. 330). Aus diesem grund obliegt es dem Täter, das Indiz aus einem vorangegangenen rechtswidrigen Verhalten zu widerlegen. An die Widerlegung dieser Vermutung sind daher hohe Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Brandenburg NJW-RR 2006, 220 f.. OLG Stuttgart FamRZ 2007, 829 f., 2004, 876. Palandt/Brudermüller, 68. Aufl., § 1 GewSchG Rz. 6. AnwKBGB/Heinke § 1 GewSchG Rz. 29).
Der angefochtene Beschluss kann danach aus mehreren Gründen keinen Bestand haben. Dabei kann es der Senat dahinstehen lassen, ob es in den Jahren 2001 und 2005 oder im Zusammenhang mit der Trennung der Eheleute zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Ihr dahingehendes Vorbringen hat die Antragstellerin durch Vorlage eines Schreibens des Frauenschutzhauses W. über ihren Aufenthalt mit den Kindern vom 5.8. bis 12.9.2001, eines Strafbefehls des AG W. vom 30.8.2001 - ... - wegen Körperverletzung, des Entlassungsscheins des Klinikums B. vom 18.3.2005 mit der Diagnose "Abortus imminens in der 9 SSW", des Schreibens der B. (Beratung und Intervention bei häuslicher Gewalt) vom 6.9.2007 sowie ihrer eidesstattlichen Versicherung im Anordnungsverfahren belegt und glaubhaft gemacht.
Die vom AG getroffenen Unterlassungsanordnungen sind nicht (mehr) gerechtfertigt. Hinsichtlich der Zif. 2 des angefochtenen Beschlusses, mit der Antragstellerin keinerlei Kontakt aufzunehmen, bestand aufgrund der selbst von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtsgutverletzungen keine Wiederholungsgefahr. Die Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewSchG sind nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig. Dass vorliegend ein Kontaktverbot (durch Anrufe, emails, SMS usw.) erforderlich ist, um künftige Rechtsgutsverletzungen durch den Antragsgegner zu verhindern, ist nicht ersichtlich.
Für die Schutzmaßnahmen nach Zif. 1 bis 3 ist im angefochtenen Beschluss eine Befristung, wie sie nach § 1 Abs. 1 Satz 2 GewSchG grundsätzlich zu erfolgen hat, nicht vorgesehen. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass die Maßnahme zu wählen ist, die eine Wiederholungsgefahr am ehesten ausschließt und zugleich in die Rechte des Täters am wenigsten eingreift, so dass aus diesem Grund regelmäßig die Schutzmaßnahmen zu befristen sind (FAFamR/Weinreich, a.a.O., Rz. 335). ...