Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungsanforderung bei Verurteilung aufgrund anthropologischen Vergleichsgutachtens
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Darlegungsanforderungen im Urteil bei Verwertung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens.
2. Angaben zur Merkmalshäufigkeit gefundener Merkmalsübereinstimmungen sind im Urteil in der Regel entbehrlich.
Normenkette
StPO § 267
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
2. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Wennigsen/Deister zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt. Zugleich hat es unter Anwendung von § 25 Abs. 2a StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 23. Oktober 2011 mit einem PKW in R. die B 217 in Fahrtrichtung H. mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 78 km/h und überschritt damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um vorwerfbare 28 km/h.
Von der Täterschaft des Betroffenen hat sich das Amtsgericht aufgrund der schlüssigen gutachterlichen Ausführungen eines Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten überzeugt. Dieser habe 21 prägnante Gesichtsmerkmale auf dem qualitativ sehr guten Messfoto feststellen können, die sämtlich mit denen des Gesichts des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen übereinstimmten. Hingegen habe der humanbiologische Vergleich des Messfotos mit dem Zwillingsbruder des Betroffenen, der als Zeuge in der Hauptverhandlung anwesend war, insgesamt sieben Unterscheide in Bezug auf die auf dem Messfoto festgestellten morphologischen Merkmalsprägungen ergeben.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II. Der Einzelrichter hat die Sache gem. § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
III. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist die Sachrüge zulässig erhoben worden. Zwar trifft es zu, dass sich weite Teile der Rechtsbeschwerde in unzulässiger Form von den Feststellungen im angefochtenen Urteil entfernen. Die Rechtsbeschwerde rügt aber zusätzlich, dass das angefochtene Urteil den notwendigen Anforderungen an die Darlegung bei der Feststellung der Fahrereigenschaft aufgrund eines morphologischen Vergleichsgutachtens nicht genügt. Zudem ist die Sachrüge in allgemeiner Form erhoben worden, ohne dass sich aus den anschließenden Ausführungen eine Beschränkung auf bestimmte Aspekte erkennen lässt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Sachrüge deckt einen durchgreifenden Rechtsmangel im angefochtenen Urteil auf. Denn die Urteilsgründe werden den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht.
Dass das Gericht dem Sachverständigen folgend zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zwillingsbruder des Betroffenen nicht die auf dem Foto der Überwachungskamera abgebildete Person ist, ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit reicht bereits ein besonders prägnantes Gesichtsmerkmal, um einen Identitätsausschluss zu erreichen (OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 287). Damit steht aber nicht gleichzeitig fest, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hat, da dies auch ein Dritter gewesen sein könnte. Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen bzw. dem Halter des gefahrenen Fahrzeugs oder der üblicherweise vom Betroffenen genutzten Fahrstrecke hat das Gericht nicht getroffen. Seine Überzeugung, dass der Betroffene auf dem Lichtbild der Überwachungskamera abgebildet ist, beruht somit allein auf den Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, der eine Übereinstimmung von 21 prägnanten Gesichtsmerkmalen erkannt hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer - wenn auch nur gedrängten - zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2000, 106; so auch OLG Celle, NdsRpfl 2002, 368; ThürOLG, DAR 2006, 523). Hiervon kann lediglich bei sogenannten standardisierten Untersuchungsmethoden abgewichen werden, bei welchen sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens b...