Leitsatz (amtlich)
Bei der Abwägung des Mitverschuldens von Kindern, die nicht dem Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 BGB unterfallen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass deren Mitverschulden geringer zu bewerten ist, als das eines unfallbeteiligten Erwachsenen.
Anders ist das jedoch, wenn der dem Minderjährigen anzulastende Sorgfaltsverstoß sowohl altersspezifisch als auch subjektiv besonders vorwerfbar ist (hier: grober Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO).
In einem derartigen Fall kann ausnahmsweise auch die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Fahrzeugs hinter dem groben Verschulden des Minderjährigen zurücktreten.
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 27.01.2011; Aktenzeichen 2 O 44/10) |
Tenor
Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Hannover vom 27.1.2011 durch ... am 8.6.2011 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 127 Abs. 3 Satz 3 ZPO) eingelegt worden. Der angefochtene Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ausweislich des Empfangsbekenntnisses (Bl. 152 d.A.) am 25.2.2011 zugestellt worden. Die sofortige Beschwerde ist per Fax am 24.3.2011 bei dem OLG eingegangen (Bl. 154 d.A.).
2. Die Beschwerde ist unbegründet; die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers hat keine Aussicht auf Erfolg:
a) Der Antragsteller überquerte unstreitig die an der Unfallstelle 7,90 m breite Landesstraße 111 außerhalb geschlossener Ortschaft in Fahrtrichtung Drochtersen vom rechten zum linken Fahrbahnrand (aus Sicht des Antragsgegners zu 2 von links nach rechts). Dort besteht keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Straße ist gerade und übersichtlich. Zur Unfallzeit (14.4.2007, ca. 19:10 Uhr) war es hell; die Straße war trocken (vgl. Bl. 1 der Beiakte 152 Js 10273/07 StA Stade). An der Stelle, an der der Antragsteller die Straße überquerte, befindet sich kein Überweg und am Straßenrand auch kein Fuß- oder Radweg (unbefestigter Seitenstreifen).
Nach dem im Auftrag der Staatsanwaltschaft Stade erstatteten DEKRA-Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. vom 18.4.2007 ist von einer Geschwindigkeit des Pkw des Antragsgegners zu 2 zum Kollisionszeitpunkt von mindestens 60 km/h auszugehen und von einer Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 94 km/h. Eine Vermeidbarkeit des Unfalls wäre danach gegeben gewesen, wenn der Antragsgegner zu 2 zum angenommenen Reaktionspunkt langsamer als 80 km/h gefahren wäre.
Nach den Berechnungen des im Auftrag des Antragstellers erstellten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 16.10.2008 wies der von dem Antragsgegner zu 2 gefahrene Pkw eine Kollisionsgeschwindigkeit von 57,5 bis 68,3 km/h auf. Die Fahrgeschwindigkeit zum Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung betrug nach diesem Gutachten 83,7 bis 95,6 km/h. Der Unfall wäre nach den Berechnungen dieses Gutachters räumlich vermeidbar gewesen, wenn der Antragsgegner zu 2 - je nach Startposition des Antragstellers - höchstens mit einer Geschwindigkeit von 61,7 oder 74,2 km/h gefahren wäre, wobei der Gutachter in der für den Antragsteller besten Konstellation eine räumliche Vermeidbarkeit bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 96,2 km/h für möglich hält.
Ein seitens der Antragsgegnerin zu 1 in Auftrag gegebenes DEKRA-Gutachten des Dipl.-Ing. R. vom 26.3.2009 ermittelt eine Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw Ford des Antragsgegners zu 2 von 90 bis 99 km/h und eine Kollisionsgeschwindigkeit von 57 bis 63 km/h. Eine Analyse der Wege-Zeiten-Beziehungen habe keine Hinweise auf eine verspätete Reaktion des Antragsgegners zu 2 ergeben, die eine Vermeidbarkeit des Unfalls begründen könnte.
Sämtliche Gutachter gehen unter Bezug auf die Schilderungen der Mutter des Antragstellers bzw. den Ermittlungsbericht der Polizei (Bl. 8 der Beiakte: "Dort stieg ihr Sohn aus und rannte vor ihrem Pkw über die Fahrbahn der L 111") davon aus, dass der Antragsteller vor der Kollision mit dem Pkw vom Straßenrand aus "losgerannt" ist (vgl. S. 9 des DEKRA-Gutachtens H. vom 18.4.2007 im Anlagenband Beklagte; S. 10 oben des Gutachtens Prof. Dr. K. vom 16.10.2008 im Anlagenband Klägerschriftsätze; S. 24 f. des DEKRA-Gutachtens des Sachverständigen R. vom 26.3.2009 im Anlagenband Beklagte).
b) Der Antragsteller hat demnach - was unstreitig sein dürfte - gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen, indem er die Landesstraße nicht unter Beachtung des bevorrechtigten Fahrzeugverkehrs überquert hat. Auf der anderen Seite ist zu Lasten des Antragsgegners zu 2 kein Verstoß gegen eine spezielle Vorschrift der Straßenverkehrsordnung festzustellen. Insbesondere ist keine Überschreitung der vor Ort zulässigen Höchstgeschwindigkeit nachweisbar. Das gilt nach sämtlichen Sachverständigengutachten.
c) Im Rahmen der danach vorzunehmenden Abwägung gem. §§ 9 StVG, 254 BGB gilt Folgendes:
aa) Zunächst scheidet in Anbetracht des Alters des Antragstellers zum Unfallzeitpunkt (geb. am 4.9.1995, also am 14.4.2007 etwa 11 Jahre und 7 Monate) eine Anwendung des § 828 A...