Leitsatz (amtlich)
Macht der Heimatstaat die Passerteilung von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig, ist dies für den Antragsteller grundsätzlich eine zumutbare Bemühung im Sinne von § 48 Abs. 2 AufenthG. Eine entsprechende Weigerung führt daher zur Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Aufgabe von OLG Celle, Beschluss v. 25.7.2005, 22 Ss 26/05, veröffentlicht u.a. in StraFo 2005, 434).
Normenkette
AufenthG § 48 Abs. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 02.04.2009; Aktenzeichen 2343 Js 103365/05) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 2. April 2009 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz und das Aufenthaltsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und gleichzeitig ausgesprochen, dass davon ein Monat und zwei Wochen als verbüßt gelten. Nach den Feststellungen war eine Abschiebung des Angeklagten in die Türkei nicht möglich, weil er nicht im Besitz eines türkischen Passes war. Allerdings war es dem Angeklagten seit dem 23. Dezember 2004 möglich, beim türkischen Innenministerium den Antrag zu stellen, erneut einen Pass zu erhalten. Der Angeklagte war im Dezember 1991 in die Bundesrepublik eingereist und 1994 als Asylberechtigter anerkannt worden. Im Jahr 1996 wurde der Angeklagte vom Landgericht Hannover wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, die er voll verbüßt hat. 1999 wurde der Angeklagte von der Ausländerbehörde ausgewiesen. Im Jahr 2003 bürgerte die Türkei den Angeklagten wegen Nichtableistung seines Wehrdienstes in der Türkei aus. Voraussetzung für den Erhalt eines neuen Passes wäre, so die Feststellungen, dass der Angeklagte sich zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet. Seine Klage auf Ausstellung eines Reiseausweises lehnte das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 2. November 2005 ab, da ein Wiedereinbürgerungsantrag des Angeklagten nicht von vornherein aussichtslos und auch zumutbar erscheine. Dass er nicht bereit sei, Wehrdienst in der Türkei zu leisten, vermöge zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Die Asylberechtigung des Angeklagten wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. August 2005 widerrufen. Der Angeklagte ist sodann in der Folgezeit mehrfach von der Ausländerbehörde der Stadt H. aufgefordert worden, sich einen türkischen Pass zu beschaffen, was er jeweils abgelehnt habe.
Gegen dieses Urteil wendet der Angeklagte sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Der Angeklagte habe erst durch die Verlesung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Hauptverhandlung erfahren, dass seine Asylberechtigung widerrufen wurde. Deshalb sei sein auf den Nachweis der fehlenden Zustellung des Bescheides abzielender Beweisantrag zu Unrecht zurückgewiesen worden und seien weitere Feststellungen zum subjektiven Tatbestand erforderlich gewesen.
II.
Die zulässig erhobene Revision erweist sich als unbegründet.
1. Zur Sachrüge
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz bzw. § 92 Abs. 1 Nr. 2 Ausländergesetz. Für einen Verstoß gegen diese Vorschriften ist von entscheidender Bedeutung, ob es dem Ausländer gem. § 48 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (bzw. nach alter Rechtslage: § 39 Abs. 1 Ausländergesetz) zumutbar ist, einen Pass zu erlangen. Der Senat hat im Jahre 2005 in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass einem Ausländer die Erlangung eines Passes nicht zumutbar sei, wenn der Heimatstaat die Passerteilung von sachfremden Gesichtspunkten abhängig mache, und die Frage der Ableistung des Wehrdienstes als solchen sachfremden Gesichtspunkt anerkannt (vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom 25. Juli 2005, 22 Ss 26/05, StraFo 2005, 434). An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.
In § 5 Abs. 2 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung ist normiert, dass die Erfüllung der Wehrpflicht, sofern sie nicht aus zwingenden Gründen unzumutbar ist, als grundsätzlich zumutbare Bemühung anzusehen ist, einen Pass zu erlangen. Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Ableistung der Wehrpflicht zu den zumutbaren Pflichten eines Ausländers gehört, um einen Pass zu erlangen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. August 2002, 11 PA 284/02, zitiert nach JURIS; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 3. April 2006, 6 K 51/05, Verwaltungsgericht Stade, Urteil vom 3. August 2006, 4 A 1493/04). Dabei ist u. a. von Bedeutung, dass ein völkerrechtlich anerkanntes Menschenrecht auf Wehrdienst-/Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht universell anerkannt ist und auch nicht au...