Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorwegvollzug. Maßregel. Unterbringung. Entziehungsanstalt. Vollziehung. Erledigung. Therapieerfolg. Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zum Ende des Vorwegvollzugs schon vor Aufnahme in den Maßregelvollzug
Leitsatz (amtlich)
1. Wurde neben der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auch der Vorwegvollzug einer verhängten Freiheitsstrafe angeordnet, ist zum Ende des Vorwegvollzugs nach § 67c Abs. 1 S. 1 auch zu prüfen, ob die in § 64 StGB genannten Anordnungsvoraussetzung einschließlich der erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Therapieerfolg noch vorliegen.
2. Sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Therapieerfolg gegeben, ist die Unterbringung analog § 67d Abs. 5 S. 1 StGB ohne vorherige Aufnahme des Verurteilten in der Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären und tritt analog § 67d Abs. 5 S. 2 StGB Führungsaufsicht ein.
Normenkette
StGB §§ 64, 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 67d Abs. 5 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Entscheidung vom 08.01.2024; Aktenzeichen 165 StVK 116/23) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 08.01.2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. Oktober 2020 (Az.: 22 KLs/9103 Js 25292/19/ (17/20)) wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur Brandstiftung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Vechta vom 16. Januar 2020 (Az.: 3 Ds - 800 Js 52843/19 (239/19)) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Zudem wurde neben der Einziehung des Wertes des durch die Tat Erlangten seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit der Maßgabe angeordnet, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe 2 Jahren und 5 Monate vorweg zu vollziehen sind.
Der Verurteilte befand sich ab dem 27.03.2020 zunächst in dieser Sache in Untersuchungshaft und verbüßte anschließend Strafhaft in anderer Sache. Die verfahrensgegenständliche Strafe wird seit dem 13.05.2022 vollstreckt, der Vorwegvollzug von 2 Jahren und 5 Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe wird am 26.02.2024 erreicht sein.
Die Strafvollstreckungskammer holte anlässlich der nach § 67c Abs. 1 Nr. 1 StGB vor Ende des Vorwegvollzugs vorzunehmenden Prüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert, neben der Stellungnahme der JVA U. ein schriftliches Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. ein. Sowohl die JVA U. als auch der psychiatrische Sachverständige sprachen sich für den Vollzug der Maßregel aus. Eine mündliche Anhörung des Sachverständigen fand nicht statt.
Nach der mündlichen Anhörung des Verurteilten erklärte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 08.01.2024 (Az. 165 StVK 116/23) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 67d Abs. 5 StGB mit der Begründung für erledigt, dass die Voraussetzungen des § 64 S. 2 StGB in der seit dem 01. Oktober 2023 geltenden Fassung nicht vorliegen würden.
Hiergehen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 23. Januar 2024.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg.
1.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 462 Abs. 3, 463 Abs. 6, 311 Abs. 2 StPO zulässig. Durch die in der Rechtsfolge ausgesprochene Erledigung der Maßregel nach § 67d Abs. 5 StGB ist der Verurteilte angesichts des damit einhergehenden Verlustes der gemäß Art. 316o EGStGB im vorliegenden Fall noch gegebenen Möglichkeit, bereits nach Erledigung der Hälfte der Strafe vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, und der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht insbesondere auch beschwert (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16.02.1997, Az. 2 Ws 18/97; anders im Falle der Erledigung nach § 67c Abs. 2 StGB: OLG Celle, Beschluss vom 02.02.2022, Az. 2 Ws 26/22).
2.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
a)
Zwar ist die Strafvollstreckungskammer zutreffend davon ausgegangen, dass bereits im Rahmen des Vorwegvollzuges und anlässlich der Prüfung, inwieweit der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert, die Erledigung der Maßregel ausgesprochen werden kann. Denn im Rahmen des § 67c Abs. 1 StGB ist ebenso wie anlässlich der Anordnung der Maßregel gemäß § 64 S. 2 StGB zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach § 64 S. 2 StGB (noch) vorliegen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.12.2011, Az. 2 Ws 794/11). Für den Fall, dass dies verneint wird, kommt eine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 Nr. 1 S...