Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Beschwerdeführer darf darauf vertrauen, dass sein Beschwerdeschreiben innerhalb der üblichen Postlaufzeit - das heißt am Werktag nach der rechtzeitigen Einlieferung bei der Post - beim Empfänger eingeht; die rechtzeitige Einlieferung ist nachgewiesen, wenn der Brief am Tag vor Fristablauf im Briefzentrum gestempelt wurde.
2. Das gemäß § 463 Abs. 4 StPO zur Prüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einzuholende Gutachten ist regelmäßig von einem Arzt für Psychiatrie zu erstellen, wenn bei dem Betroffenen eine paranoide Schizophrenie vorliegt.
Normenkette
StGB §§ 63, 67d Abs. 2, § 67e; StPO §§ 44, 45 Abs. 2, §§ 311, 463 Abs. 4; PUDLV § 2 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Entscheidung vom 03.06.2021; Aktenzeichen 161 StVK 13/21) |
Tenor
Dem Untergebrachten wird von Amts wegen und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 3. Juni 2021 gewährt.
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 3. Juni 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 20. Juni 2012, rechtskräftig seit demselben Tage, hat das Landgericht Verden die Unterbringung des heute 29 Jahre alten Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Unterbringung lag zugrunde, dass der Betroffene am 16. November 2011 seinem schlafenden Vater ein Messer in den Brustkorb gestochen hatte, weil er aufgrund einer akuten paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in ihm den Teufel erblickte. Das Landgericht hat durch die Tat den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB als verwirklicht angesehen, vom Versuch eines Totschlags war der Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen zurückgetreten.
Die Unterbringung wird seit dem 20. Juni 2012 in der Psychiatrischen Klinik ... vollzogen, zuvor war der Beschuldigte bereits seit dem 16. November 2011 vorläufig untergebracht. Eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung wurde von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg nach jährlichen Prüfungen abgelehnt, zuletzt rechtskräftig mit Beschluss vom 28. April 2020.
Für das aktuelle Prüfungsverfahren hat die Strafvollstreckungskammer eine Stellungnahme der Maßregelvollzugsklinik sowie ein Gutachten des Diplom-Psychologen T. S. eingeholt, die vom 24. April bzw. 12. Mai 2021 datieren.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Juni 2021 hat die Strafvollstreckungskammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschlossen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Verteidiger am 9. Juni 2021 zugestellt wurde, wendet sich der Untergebrachte mit seiner sofortigen Beschwerde. Das Beschwerdeschreiben weist einen Poststempel vom 15. Juni 2021 auf und ist am 17. Juni 2021 beim Landgericht Lüneburg eingegangen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässig und hat zumindest vorläufig Erfolg.
1.
Dem Verurteilten war gemäß §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, weil sich aus den Akten ergibt, dass ihn an der Versäumung der Begründungsfrist kein Verschulden trifft.
Der Senat schließt sich der verbreiteten obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach ein Rechtsmittelführer darauf vertrauen darf, dass bei einer Aufgabe der Rechtsmittelschrift zur Post die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020, IX ZA 4/20, juris; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009, NJW 2009, 2379; OLG Oldenburg, Beschluss vom 16. September 2013, NStZ-RR 2014, 113; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009, NJW 2009, 2230). Beim Versand eines einfachen Briefes darf er davon ausgehen, dass dieser bereits einen Werktag nach der Einlieferung beim Empfänger eingeht. Denn dies entspricht nicht nur den üblichen Laufzeiten nach § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung, wonach im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent der Briefsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden müssen, sondern auch den Angaben der Deutschen Post AG auf ihrer Internetseite, wonach die Betriebsprozesse darauf ausgelegt sind, rund 90 % aller nationalen Briefsendungen bereits einen Werktag nach der Einlieferung beim Empfänger auszuliefern.
Der Untergebrachte durfte deshalb darauf vertrauen, dass sein (spätestens) am...