Leitsatz (amtlich)

1. Eine örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, in dessen Bezirk der Geschäftsführer der nicht mehr wirtschaftlich tätigen, aber noch im Zuständigkeitsbereich eines anderen Insolvenzgerichts im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen seinen allgemeinen Wohnsitz hat, kommt jedenfalls nicht allein wegen der Mitnahme der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin an den Wohnsitz des Geschäftsführers in Betracht.

2. Das Insolvenzgericht darf das Verfahren allenfalls dann an das Wohnsitzgericht des Geschäftsführers verweisen, wenn es zuvor von Amts wegen ermittelt und positiv festgestellt hat, dass am Sitz des Geschäftsführers tatsächlich eine Abwicklung der Gesellschaft stattfindet und diese nicht nur substanzlos behauptet wird; bestehen Anzeichen für eine „gewerbsmäßige Firmenbestattung”, denen das Insolvenzgericht vor einer Verweisung im Rahmen des § 5 InsO auch nachzugehen hat, kommt eine Verweisung gar nicht in Betracht.

3. Der Verweisungsbeschluss ist willkürlich und damit nicht bindend, wenn das Insolvenzgericht, das gem. § 3 Abs. 1 S. 1 InsO für den Sitz der Schuldnerin zuständig ist, ohne eine weitere Sachaufklärung seine Zuständigkeit verneint und das Verfahren auf Antrag des letzten Geschäftsführers der Schuldnerin an das Insolvenzgericht verweist, bei dem dieser seinen Geschäftssitz hat.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 107 IN 4482/03)

AG Hannover (Aktenzeichen 903 IN 621/03 - 6 -)

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das AG – Insolvenzgericht – Hannover.

 

Gründe

I. Die Schuldnerin hatte ursprünglich ihren Sitz in B. und wurde durch den Dipl.-Ing. A., wohnhaft in B., als Geschäftsführer gesetzlich vertreten. Am 5.3.2003 ließ der Geschäftsführer A. einen Gesellschafterbeschluss notariell beurkunden, mit dem er den Sitz der Schuldnerin nach N. in den Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichts Hannover verlegte. Nach Eintragung der Sitzverlegung im Handelsregister des AG N. (HRB 3400) am 8.5.2003 veräußerte die Schuldnerin ihre Geschäftsanteile, ließ den bisherigen Geschäftsführer A., dem Entlastung erteilt wurde, am 15.5.2003 abberufen und bestellte den in Berlin geschäftsansässigen X. zum neuen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH. Zugleich wurde die Firma der Gesellschaft geändert. Eine Sitzverlegung nach Berlin wurde nicht beschlossen.

Der neue Gesellschafter X. der Schuldnerin beantragte mit Schriftsatz vom 5.6.2003, eingegangen beim AG Hannover am 11.6.2003, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Zugleich stellte er den Antrag, das Verfahren an das für seinen Wohnsitz zuständige Insolvenzgericht in Charlottenburg zu verweisen, weil eine Geschäftstätigkeit am Sitz der Gesellschaft in N. nicht mehr entfaltet werde. Die Geschäftsräume seien aufgegeben worden, den Mitarbeitern sei gekündigt, und das Gewerbe bei der zuständigen Behörde habe er abgemeldet. Die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin habe er in seinen Zugriffsbereich nach Berlin verbracht, so dass das Insolvenzverfahren in Berlin abzuwickeln sei. Dort würden noch eine Reihe von Abwicklungstätigkeiten, wie das Erstellen von Lohn- und Arbeitsbescheinigungen, die Vornahme von Umsatz- und Lohnsteuervoranmeldungen usw. entfaltet. Mit der Durchführung dieser Abwicklungstätigkeiten sei eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft in Berlin beauftragt worden, die Erreichbarkeit der Schuldnerin im Rahmen des Insolvenzverfahrens sei damit jederzeit gesichert.

Mit Beschluss vom 19.8.2003 hat das AG Hannover – Insolvenzgericht – sich im Hinblick auf die Angaben des Antrag stellenden Geschäftsführers der Schuldnerin ohne weitere Ermittlungen – jedenfalls sind aus den Akten keine Aufklärungsmaßnahmen zu entnehmen – für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das für den Wohnsitz des neuen Geschäftsführers der Schuldnerin zuständige AG Charlottenburg verwiesen.

Mit Beschluss vom 26.9.2003 hat auch das AG Charlottenburg seine örtliche Zuständigkeit verneint und die Sache zur Gerichtsstandsbestimmung nach § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem OLG Celle vorgelegt. Zur Begründung hat das AG Charlottenburg ausgeführt, bei dem neuen Geschäftsführer X. der Schuldnerin handele es sich um einen gewerblichen Firmenbestatter, der seine Geschäfte zusammen mit einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft, der Y- GmbH Unternehmensberatung betreibe, die damit werbe, dass sie binnen 24 Stunden durch Übernahme des Unternehmens mit Abberufung und Entlastung des Gesellschafters bei der Lösung von Insolvenzproblemen behilflich sein könne. Die Y- GmbH sei bei dem AG Charlottenburg aus etwa 60 Verfahren bekannt, in denen nach genau dem Muster vorgegangen worden sei, wie es auch vorliegend zu erkennen sei. Eine örtliche Zuständigkeit des AG Charlottenburg sei nicht gegeben. Bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft würden keine Abwicklungstätigkeiten entfaltet. Die in dem Eröffnungsantrag aufgeführten Maßnahmen stellten einen unsubstantiierten Katalog von theoretisch möglichen Abwicklungstätigke...

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