Entscheidungsstichwort (Thema)
De-facto-Vergabe eines Auftrags über ein Fahrradverleihsystem und Werbeleistungen
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Es muss auch ausgeschlossen sein, dass für die Auftragsdurchführung weitere Unternehmen in Frage kommen, die die für den Auftrag notwendigen Fähigkeiten und Ausstattungen zwar noch nicht haben, aber rechtzeitig erwerben können.
Der Nichteintritt der Unwirksamkeit eines ohne Bekanntmachung vergebenen Auftrags nach § 135 Abs. 3 GWB setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Bekanntmachung zulässig ist (Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift). Der Auftraggeber muss bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen dafür tatsächlich erfüllt sind, sorgfältig gehandelt haben. Dies kann in der Regel nur dann festgestellt werden, wenn entsprechende nach außen erkennbare Tatsachen vorliegen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; GWB § 135 Abs. 3 S. 1; VgV § 14 Abs. 4 Nr. 2
Verfahrensgang
VK Niedersachsen (Beschluss vom 15.09.2021; Aktenzeichen VgK-33/2021) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 15. September 2021 werden zurückgewiesen.
Die Beigeladene und die Antragsgegnerin haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin je zur Hälfte zu tragen. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 70.507,50 EUR Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin, ein Tarif- und Verkehrsverbund für den öffentlichen Personennahverkehr, schloss am 25. Mai/2. Juni 2021 mit der Beigeladenen, der n. GmbH, eine "Vereinbarung über Systemsponsoring", deren Vertragsgegenstand in Ziff. 2 wie folgt beschrieben wird:
"n. betreibt ein Fahrradverleihsystem im Sponsoringgebiet und stellt dem Sponsor Werbeflächen für ein Markenbranding im gesamten System sowie die Integration in den Systemnamen (P.n.) bzw. die Verwendung von Eigennamen des Sponsors (...) zur Verfügung. Diese Werbeflächen werden für die Dauer der Vertragslaufzeit mit einer Gestaltung versehen, die Werbeinhalte des Sponsors transportiert. Als Gegenleistung zahlt der Sponsor einen Geldbetrag an n.."
Das Fahrradverleihsystem umfasst nach dem Vertrag ca. 1.000 Fahrräder. Die Fahrräder sind Kunden der Antragsgegnerin, die die Fahrräder mit einem Abonnement oder einem Semesterticket der Antragsgegnerin nutzen, für 30 Minuten je Mietvorgang kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Vor dem Abschluss des Vertrages hatte die Antragsgegnerin am 29. April 2021 im Amtsblatt der Europäischen Union eine "Freiwillige Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung" veröffentlicht. Darin heißt es, dass ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt werde, weil die Leistungen wegen nicht vorhandenem Wettbewerb aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden könnten. Gemeint war die Beigeladene. Die Beigeladene hatte bereits seit dem Jahr 2019 auf der Grundlage eines vergleichbaren "Systemsponsoring-Vertrags" mit der Firma D.de ein Fahrradverleihsystem in der Innenstadt von H. betrieben.
Die Antragstellerin betreibt in größeren Städten Fahrradverleihsysteme. Sie rügte, dass es sich bei dem Vertrag vom 25. Mai/2. Juni 2021 um eine rechtswidrige De-facto-Vergabe an die Beigeladene handele. Als die Antragsgegnerin der Rüge nicht abhalf, hat die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren beantragt. Die Vergabekammer hat festgestellt, dass der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag von Anfang an unwirksam ist, und die Antragsgegnerin verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein Vergabeverfahren gemäß dem 4. Teil des GWB durchzuführen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wollen mit ihren Rechtsmitteln die Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer und die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags erreichen.
II. Die sofortigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere ist die Anwendung des 4. Teils des GWB eröffnet.
a) Bei der Vergabe des "Systemsponsoring-Vertrags", dessen Gesamtwert mehr als 1 Mio. EUR beträgt, handelt es sich um einen entgeltlichen Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen über Dienstleistungen. Der Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge von 214.000,00 Euro (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU ist überschritten.
aa) Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber im Sinn des § 99 Nr. 2 GWB, wie die Vergabekammer zutreffend angenommen hat und mi...