Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der erforderlichen gerichtlichen Genehmigung einer Zwangsbehandlung sind insbesondere auch die mit der beabsichtigten Behandlung verbundenen möglichen Gefahren und Beeinträchtigungen für den Betroffenen zu berücksichtigen. Bei der dem Gericht insoweit obliegenden Amtsermittlung sind u.a. auch die Ergebnisse etwaig bereits erfolgter Behandlungen in der Vergangenheit zu ermitteln und zu berücksichtigen.
2. Angesichts der Bedeutung und Intensität des mit einer Zwangsmedikation verbundenen Grundrechtseingriff ist das notwendige Sachverständigen-gutachten (§ 70e FGG) durch einen externen, nicht im behandelnden Krankenhaus tätigen Sachverständigen zu erstellen.
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 11.06.2007; Aktenzeichen 53 T 54 +56/06 +8/07) |
AG Neustadt a. Rbge. (Beschluss vom 27.09.2006; Aktenzeichen 6 XVII P 789/04) |
Tenor
I. Unter Aufhebung der Beschlüsse des LG Hannover vom 11.6.2007 wird
1. der Beschluss des AG Neustadt vom 27.9.2006 insoweit aufgehoben, als mit diesem ein Einwilligungsvorbehalt für alle Aufgabenkreise der Betreuerin angeordnet worden ist; die weitergehende weitere Beschwerde gegen die Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis Vermögenssorge sowie gegen die Nichtbestellung des Rechtsanwalts ... zum Verfahrenspfleger der Betroffenen wird zurückgewiesen;
2. die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des AG Neustadt vom 27.10.2006 festgestellt; der Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren vor dem LG Hannover (Az. 53 T 56/06) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt;
3. der Beschluss des AG Neustadt vom 19.1.2007 wird mit sofortiger Wirkung insoweit aufgehoben als damit die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Zwangsbehandlung der Betroffenen erteilt wird; soweit damit die geschlossene Unterbringung der Betroffenen im Landeskrankenhaus ... vormundschaftsgerichtlich genehmigt wird, wird der Beschluss mit Wirkung zum 24.7.2007 aufgehoben.
II. Gerichtskosten werden für die Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerden nicht erhoben (§§ 128b, 131 Abs. 3 KostO).
III. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse (§ 13a Abs. 2 FGG).
IV. Wert des Beschwerdeverfahrens: 13.000 EUR
(zu a = 3.000 EUR; zu b+c = je 5.000 EUR).
Gründe
I. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren geht es um 1) die Rechtsmäßigkeit der Erweiterung einer Betreuung bei gleichzeitiger Anordnung eines umfassenden Einwilligungsvorbehalts, 2) um die Rechtmäßigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung einer medikamentösen Zwangsbehandlung sowie 3) um die vormundschaftliche Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung mit gleichzeitiger Zwangsbehandlung.
Für die seit 1993 psychisch erkrankte Betroffene besteht, nach dem etwa ein Jahr zuvor eine bestehende Betreuung wegen des Fehlens jeglicher Kooperationsbereitschaft (Bl. 90 BA XVII P 83/03) noch aufgehoben worden war, seit dem 5.11.2004 (Bl. 29 d.A.) durchgehend eine Betreuung. Die Betreuung umfasste zunächst nur den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und wurde nachfolgend zweimal erweitert. Inzwischen bezieht sich die Betreuung - auch auf der Grundlage des hier u.a. angefochtenen Beschlusses des AG Neustadt a. Rbge. vom 27.9.2006 - auf die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung und Vermögenssorge. Weiterhin ist für alle Aufgabenkreise ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden.
Seit dem 22.10.2005 befindet sich die Betroffene durchgehend in geschlossener stationärer Behandlung im Landeskrankenhaus (LKH) .... Da die zunächst nach § 18 NPsychKG eingewiesene Betroffene mit der Behandlung im LKH ... nicht einverstanden war und ist, sind auf Antrag der Betreuerin jeweils vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen ihrer Unterbringungsentscheidungen erteilt worden (Beschluss vom 27.10.2005 bis zum 13.12.2005, Bl. 14 Bd. I d. U-Heftes; Beschluss vom 12.12.2005 bis zum 23.1.2006, Bl. 26 Bd. I d. U-Heftes; Beschluss vom 23.1.2006 bis zum 22.7.2006, Bl. 98 Bd. I d. U-Heftes; Beschluss vom 20.7.2006 bis zum 20.10.2006, Bl. 199 Bd. II d. U-Heftes; Beschluss vom 19.10.2006 bis zum 20.1.2007, Bl. 254 Bd. II d. U-Heftes und Beschluss vom 27.1.2007 bis zum 18.1.2008, Bl. 43 Bd. III d. U-Heftes).
In den vorstehenden Beschlüssen waren überwiegend zugleich auch die vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungen für die während den Unterbringungen ggf. durchzuführenden medikamentösen Zwangsbehandlungen ausdrücklich mit enthalten; so in den Beschlüssen vom 27.10.2005, vom 12.12.2005 und vom 23.1.2006. Auf die Beschwerde der Betroffenen ist der Beschluss vom 23.1.2006 hinsichtlich der Zwangsbehandlungsbefugnis mit Beschluss des LG Hannover vom 23.3.2006 (Bl. 138 Bd. I d. U-Heftes) aufgehoben worden. Mit Beschluss vom 30.5.2006 (Bl. 155 Bd. I d. U-Heftes ist sodann die Fixierung zur Medikamentengabe bis zum 10.7.2006 genehmigt worden. Mit Beschluss vom 27.10.2006 (Bl. 261 Bd. II d. U-Heftes) ist eine unbefristete Genehmigung zur Zwangs...