Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung nach StrEG trotz rechtskräftiger Verurteilung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Entschädigung für erlittene Freiheitsentziehung kommt aus Billigkeitsgesichtspunkten auch in Betracht, wenn zwar der Beschuldigte die Freiheitsentziehung zunächst vorwerfbar verursacht hat, sich aber aufgrund verzögerlicher Sachbearbeitung nach Entscheidung durch das Revisionsgericht die Zurechnungsgrundlagen geändert haben.

 

Normenkette

StrEG §§ 1-2, 4-5, 8; StPO § 126a

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 12.11.2015; Aktenzeichen 33 KLs 4/15)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit er den Zeitraum ab dem 19. August 2014 betrifft.

Es wird festgestellt, dass dem Antragsteller dem Grunde nach Entschädigung für die erlittene Freiheitsentziehung ab dem 19. August 2014 zusteht.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Gebühr für die Beschwerde wird jedoch um 1/2 ermäßigt. Im selben Umfang trägt die Landeskasse die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

 

Gründe

I.

Mit Antragsschrift der Staatsanwaltschaft vom 28. Juni 2012 wurde dem Antragsteller zur Last gelegt, am 1. April 2011 in H. die Schalterperson einer Sparkassenfiliale wiederholt als "Dreck" bezeichnet und mit dem Abschneiden von Körperteilen sowie der Tötung bedroht zu haben. Zur Unterstreichung habe der Antragsteller aus einer Sporttasche ein Samuraischwert gezogen und in Richtung des bedrohten Zeugen gehalten. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens, wonach bei dem Antragsteller eine chronifizierte schizomanische Störung sowie eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bestehe, ging die Anklagebehörde davon aus, dass eine Schuldunfähigkeit i. S. von § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden konnte und der Antragsteller sich bei der Tat in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit i. S. von § 21 StGB befand.

Während der laufenden Hauptverhandlung erschien der Antragsteller am 9. Dezember 2013 nicht zum Termin, weshalb die Kammer am selben Tag Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erließ. Der Antragsteller wurde am 10. Dezember 2013 festgenommen. Mit Urteil vom 8. Januar 2014 ordnete die Kammer die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an und erließ zugleich Unterbringungsbefehl nach § 126 a StPO, der noch am selben Tag vollzogen wurde.

Auf die Revision des Antragstellers hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 19. August 2014 das Urteil der Kammer auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover zurück (3 StR 243/14). In dem Beschluss wird ausgeführt, dass die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtlicher Nachprüfung nicht stand halte. Zwar könne eine Bedrohung eine Straftat der mittleren Kriminalität darstellen, welche die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag. Nach den Feststellungen sei die Schwelle zur Erheblichkeit jedoch nur geringfügig überschritten. Den daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit würden die Darlegungen im Urteil nicht gerecht. Es sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich nach dem Ausstoßen der Drohungen letztlich selbst wieder beruhigt und die Geschäftsräume ohne fremdes Zutun verlassen habe. Auch bei einem früheren Geschehen sei er über verbale Drohungen nicht hinausgegangen und habe sich aufgrund des Zuredens eines Polizeibeamten zum Aufgeben entschlossen. Seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahre 2015 habe die Krisenintervention überwiegend durch freiwillige Aufenthalte in Kliniken u. ä. stattgefunden. Zudem sei eine Heilung und deutliche Verbesserung des Zustandes des Antragstellers durch die Maßregel nicht mehr zu erwarten.

Diese Entscheidung wurde beim Bundesgerichtshof am 19. Januar 2015 abverfügt, sodass der Vorgang erst am 6. Februar 2015 bei der Staatsanwaltschaft und am 16. Februar 2015 beim Landgericht Hannover einging. Die Kammer hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft ohne weitere Begründung am 24. Februar 2015 den Unterbringungsbefehl aufgehoben.

Am 19. Oktober 2015 ist der Antragsteller wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35 € verurteilt worden, nachdem aufgrund eines neuen Sachverständigengutachtens Schuldunfähigkeit sicher ausgeschlossen werden konnte. Von einer Maßregel nach § 63 StGB hat die Kammer aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgesehen.

Unter dem 29. Oktober 2015 hat der Antragsteller beantragt, wegen der erlittenen Untersuchungshaft und Unterbringung die Entschädigungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG dem Grunde nach festzustellen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer den Antrag abgelehnt, weil der Antragsteller die Anordnung der vorläufigen Unterbringung gemäß § 126 a StPO vorsätzlich herbeigeführt habe, sodass eine Entschädigung ausgeschlossen sei (§ 5 Abs. 2 Satz...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge