Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines zweiten Verteidigers wegen voraussichtlich langer Verfahrensdauer
Leitsatz (amtlich)
1. § 144 Abs. 1 StPO setzt voraus, dass die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens wenn auch nicht unerlässlich, so jedoch notwendig sein muss.
2. Dessen unbestimmter Rechtsbegriff "Umfang oder Schwierigkeit" des Verfahrens ist enger auszulegen als der "der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" in § 140 Abs. 2 StPO; liegt der Grund für die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers in der voraussichtlich langen Dauer der Hauptverhandlung und damit einhergehend in einer eventuellen Verhinderung des Verteidigers, muss diese Verhinderung nicht lediglich möglich sein, erforderlich ist vielmehr i.S. einer konkreten Gefahr, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dahingehend besteht, dass sich die Gefahr in absehbarer Zeit auch verwirklicht.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 2, § 144 Abs. 1
Tenor
Der Antrag der Angeschuldigten vom 25. April 2020, ihr Rechtsanwalt A. als weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I.
1. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle legt in ihrer vom 3. April 2020 datierenden und am 8. April 2020 erhobenen Anklageschrift der Angeschuldigten zur Last, sich spätestens seit dem 8. Dezember 2014 in S. durch drei selbstständige Handlungen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat"(IS) beteiligt und durch zwei dieser Handlungen zugleich über Kriegswaffen die tatsächliche Gewalt ausgeübt zu haben, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruht habe oder eine entsprechende Anzeige nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen erstattet worden sei. Der Angeschuldigten werden die Verbrechenstatbestände des "§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 i. V. m. § 129a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 lit. a KrWaffKG i. V. m. Teil B Nr. 29 Buchstabe c der Anlage zum KrWaffKG" zur Last gelegt.
Konkret soll sich die Angeschuldigte als Anhängerin des salafistischen Islams spätestens im Dezember 2014 ihrer Ideologie folgend der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) angeschlossen haben, indem sie mit Unterstützung des Netzwerkes um die gesondert verfolgten "A. W.", H. C. und B. S. u. a. zusammen mit ihrem ihr nach islamischem Recht angetrauten und vormals gesondert verfolgten Ehemann S. A. über die T. nach R./S. ausgereist sei, wobei die beiden dort zumindest bis einschließlich 2015 vom "IS" für ihren Lebensunterhalt monatlich alimentiert worden seien und wobei die Angeschuldigte von S. aus die Ausreise mehrerer Frauen von D. in das Herrschaftsgebiet des "IS" organisiert, dort die Heirat mit "IS"-Kämpfern vermittelt und ihre Verbundenheit zum "IS" auch dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass sie ihren eigenen Ehemann als IS-Kämpfer in seinem bewaffneten Kampf, beispielsweise in K., dadurch gefördert habe, dass sie ihn zum Kampf aufgefordert und sich um die Haushaltsführung und die Erziehung der gemeinsamen Kinder im Sinne der "IS"-Ideologie gekümmert habe. Gegenüber Kommunikationspartnern in D. soll die Angeschuldigte die Situation im Gebiet des "IS" gelobt und für eine Ausreise in das Gebiet der terroristischen Organisation gegenüber der Schwester von S. A., D. A., ab dem 07.01.2015 mittels diverser, im Einzelnen näher bezeichneten Textnachrichten geworben haben.
2. Die Hauptverhandlung soll nach dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft im ersten Rechtszug vor dem hiesigen Oberlandesgericht stattfinden. Die Anklageschrift benennt als Beweismittel neben zahlreichen Urkunden und Augenscheinobjekten drei mit den Ermittlungen befasste (Landes)Polizeibeamte, drei weitere Polizeibeamte des BKA zur Struktur des IS sowie zehn nichtpolizeiliche Personen als Zeugen, sachverständige Zeugen bzw. Sachverständige sowie insgesamt sieben weitere Personen als Sachverständige; bei diesen handelt es sich in der Mehrzahl um Islamwissenschaftler sowie einen psychiatrischen Sachverständigen. Die Angeschuldigte sowie sämtliche Beweispersonen sind (nach Aktenlage) der deutschen Sprache ausreichend mächtig.
Die dem Senat vorgelegten Akten umfassten vier. Bände Hauptakten, ein fünfter Band wurde zwischenzeitlich durch den Senat angelegt, fünf Sonderhefte betreffend "Erkenntnisse aus dem Verfahren gegen S. A." und damit Auszüge aus dem vormals gegen diesen gesondert geführten Ermittlungsverfahren, ein Sonderheft "Struktur IS", ein Sonderheft "TKÜ" und ein Sonderheft "Aktennachgänge".
3. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 hat sich die Verteidigerin unter Vorlage einer vom 8. Januar 2019 datierenden Vollmacht für das hiesige Verfahren legitimiert. Durch Beschluss des Ermittlungsrichters des OLG Celle vom 4. Dezember 2019 ist die Verteidigerin der Angeschuldigten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 StPO (a.F.) beigeordnet worden. Die Verteidigerin hat der Angeschuldigten in dieser S...